Fangen wir direkt mit einem der bekanntesten Heiligen an: Sankt Martin. Allein in Frankreich tragen über 4.000 Kapellen und Kirchen seinen Namen. Und er hat jede einzelne verdient, finde ich. Was für ein Kerl! Frankreich hat überhaupt einen erstaunlichen Kult um ihn geschaffen. Im Frühmittelalter wurde sein Mantel – die Cappa, wie die Römer sagten – zur Reichsreliquie, die durchs Land zog und in eigenen kleinen Heiligtümern aufbewahrt wurde: den »Kapellen«, wo ein »Kaplan« für sie zuständig war.
Wobei ich zu diesem Kleidungsstück direkt etwas klarstellen muss: Der Mantel war nicht rot, wie man ihn immer dargestellt sieht, sondern weiß und entsprach damit der Farbe seines Dienstgrads in der Armee. In der was? Ja, genau. Er stammte aus einer Soldatenfamilie und stand im Dienst des römischen Heers. Außerdem hat er nicht nur seinen weißen Mantel geteilt, sondern gab viele Jahre später sogar mal seinen Gehrock ab – und zwar den ganzen. Aus irgendeinem Grund ist diese zweite edle Tat aber praktisch vergessen. Vielleicht sieht es einfach würdevoller aus, hoch zu Ross seinen Mantel mit dem Schwert zu halbieren, als sich mühsam aus der Hose zu schälen, nur um dann in Unterwäsche dazustehen. Ich weiß es nicht, aber es fällt auf.
Geboren wurde Martin 316 oder 317 im heutigen Ungarn, wo sein italienischer Vater zu jener Zeit als Legionär stationiert war. Aufgewachsen ist er jedoch in Italien, wo er auch erstmals mit dem Christentum in Kontakt kam. Das wäre in Ungarn unmöglich gewesen, wo es zu jener Zeit noch kein Christentum gab. Als Soldat kam er nach Gallien. Und dort, im heutigen Amiens, tätigte er auch die berühmteste Kleiderspende der Geschichte. Eines Nachts er- schien ihm Jesus im Traum und machte dabei so viel Eindruck auf den jungen Soldaten, dass der sich taufen ließ und bald darauf aus der Armee ausschied, um sich als Einsiedler auf eine Insel vor Genua zurückzuziehen. Als ihm aber immer mehr Anhänger in die Einsamkeit folgten, war es mit dieser und dem Einsiedlerleben auch schon wieder vorbei.
Er kehrte in die Zivilisation zurück und taufte noch schnell seine alte Mutter in der italienischen Heimat, bevor er wieder nach Frankreich abreiste. Dort half er bei der Christianisierung, wurde Bischof von Tours und gründete unter anderem das erste Kloster des Abendlandes. Er lebte demütig in einer Hütte vor der Stadt und zerstörte ebenso demütig heidnische Kultorte, um auf ihren Überresten Kirchen zu bauen. Im Jahr 397 starb er schließlich mit 81 Jahren, wobei seine letzten Worte von stoischem Pragmatismus zeugten:
»Den Tod fürchte ich nicht, weiterzuleben lehne ich aber nicht ab.« Damit gelang ihm etwas, woran Heilige der Kirche bis dahin – und auch seitdem – reihenweise gescheitert sind: friedlich im Bett zu sterben.
Praktisch mit dem Tag seines Todes setzte die Sankt-Martins-Verehrung ein. Sein Grab wurde zur Pilgerstätte und sein Nachfolger als Bischof von Tours veröffentlichte nicht weniger als vier Bücher über ihn, bevor wiederum dessen Nachfolger den 11. November, den Tag von Martins Beerdigung, zum offiziellen Gedenktag erklärte. Was er – Laterne, Laterne, Sonne, Mond und Sterne – bis heute ist.
Auszug aus dem Buch „Weihnachten, ein Fest packt aus – Die Autobiografie“