Weit über tausend Jahre hinweg waren fast alle Deutschen immer auch entweder katholisch oder evangelisch. Nach 1945 hetzten noch katholische Pfarrer gegen protestantische Flüchtlinge aus den verlorenen Ostgebieten und bis weit in die zweite Hälfe des 20. Jahrhunderts hinein konnten Freundschaften, Beziehungen und Ehen am falschen Taufschein scheitern. Mittlerweile jedoch scheint das Christentum als moralische Instanz ausgedient zu haben. Dazu passt auch, dass erstmals weniger als 50 Prozent der Deutschen einer der beiden Kirchen angehören.

Für diese Entwicklung gibt es sicherlich viele Gründe. Ein wichtiger dürfte darin bestehen, dass sich die beiden Großkirchen von Verkündern ihres Glaubens in Pseudobehörden verwandelt haben, die ihr eigenes Erbe verwalten, mit dem sie inhaltlich nicht mehr sonderlich viel verbindet. Ich bin weder Christ noch überhaupt gläubig, habe aber zwei Erfahrungen mit den beiden schrumpfenden Platzhirschen im deutschen Götterwald gemacht, die meiner Meinung nach viel über ihren Zustand und ihr Selbstverständnis verrät.

Die erste hatte ich im Jahr 2015. Damals reiste ich für ein Buch über die neue religiöse Vielfalt im Land umher und besuchte vierundzwanzig Glaubensgemeinschaften von skurrilen Germanen- und Alienkulten über muslimische und buddhistische Gemeinden bis hin zu christlichen Freikirchen. Und natürlich standen auch die beiden Volkskirchen auf meiner Liste. Während sich die allermeisten Gemeinschaften große Mühe gaben, sich und ihren Glauben vorzustellen, stieß ich bei den Volkskirchen auf erstaunlich viel Gleichgültigkeit.

Da konnten Absagen für 14:00 Uhr-Termine auch schon mal mit der Begründung erfolgen, dass „dies genau die Zeit meines biorhythmischen Tiefs“ sei. Wenn sich dann doch mal jemand aufraffen konnte, für ein Treffen seine gottgegebene Siesta zu unterbrechen, stellte sich eine andere Überraschung ein: Erstaunlich viele Pfarrer und Pastorinnen betrachteten die Existenz Gottes nicht als Fakt, sondern drifteten lieber in esoterische Sphären ab, in denen der Schöpfer der Welt plötzlich auch einfach eine Art Helligkeit von innen sein konnte. Nun ist es mir erst mal egal, ob jemand an Gott glaubt oder nicht, aber zur Jobbeschreibung dieser Kirchenangestellten sollte es ja doch notwendig gehören, an ihn zu glauben. Und zwar nicht in irgendeiner abstrakten Form, sondern in der eines Machers, der die Zehn Gebote in die Welt brachte und später gekreuzigt wurde. Dass solche „Vielleicht ist Gott auch einfach nur mein Drittes-Auge-Chakra“-Prediger niemanden zum Kircheneintritt bewegen können, ist dann auch kein Wunder mehr.

Gottverdrossenheit nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch beim Kirchenpersonal

Dass sich an der Glaubensmüdigkeit des Personals seit 2015 nichts geändert hat, durfte ich wiederum im Jahr 2021 (bzw. mehr als 2,5 Millionen Kirchaustritte später) erfahren. Ich entschloss mich im Sommer letzten Jahres, die Bibel zu lesen und in einer möglichst kurzweiligen Art wiederzugeben, um damit auch Leser zu erreichen, denen der herausfordernd trockener Ton des Buchs der Bücher zu anstrengend ist. Sonntag für Sonntag stelle ich seitdem ein weiteres Kapitel vor und hatte damals bei den beiden Volkskirchen um Unterstützung gebeten. Vielleicht eine Erwähnung im Newsletter, in einem Tweet, in einer Kirchen-Publikation oder hier oder da. Ich hatte keine genaue Vorstellung, dachte aber, dass die religiöse Infrastruktur sicherlich irgendwas hergeben könnte.

Nun ja, es stellte sich heraus, dass beiden Kirchen kein Interesse daran hatten, mein Projekt auf irgendeine Weise zu unterstützen. Beide reagierten erst überhaupt nicht auf meine Anfrage, bevor die Katholiken auf Nachfrage hin kühl mitteilten, dass meine E-Mail „in den Fachbereich weitergeleitet“ wurde. Wo sie offenbar rituell zerstört wurde, jedenfalls endete meine Korrespondenz mit der katholischen Kirche damit. Bei der evangelischen Kirche gab man hingegen direkt zu, „nicht auf Anhieb“ zu wissen, „was da machbar wäre“, als wäre die Beschäftigung mit der Bibel etwas, was in ihrem Berufsalltag sonst nie vorkommt und sie darum überfordert zurücklassen musste.

Mir ist es gleich, ob ich bei diesem Projekt unterstützt werde. Ich mache es gerne und aus eigenem Interesse und dachte mir bei meinen Anfragen lediglich, dass es vielleicht da draußen noch mehr Menschen gibt, die an dieser Reise durch die Bibel teilnehmen wollen. Deswegen hatte ich mich an die beiden Kirchen gewendet. Aber immer, wenn ich davon lese, dass sich ihre Krise weiter verschlimmert hat, denke ich an meine eigenen Erfahrungen zurück und wundere mich nicht über den freien Fall der Volkskirchen. Aber jetzt muss ich Schluss machen, da ich gerade mein biorhythmisches Tief erreicht habe…Ach so, ja, und meine Bibel-Reise kann man hier verfolgen: „Ein Wunder wär jetzt nicht schlecht – Die Bibel als Fortsetzungsroman“.