2. Kapitel

Laura schaute zur holografischen Tafel, die direkt neben dem Lehrerpult schwebte. Sie langweilte sich in der Schule und in WeWorld-History ganz besonders. Und jetzt musste sie auch noch ein Referat halten. Schon das sterile Klassenzimmer fand sie ermüdend. An den Wänden hing nichts, weil es sich um Leinwände für 3D-Filme handelte. Gerade bei historischen Ereignissen sollte das den Zugang zum Thema erleichtern. Trotzdem bräuchte Laura das nicht und hätte diese Wunderwände gerne gegen ein Fenster getauscht, durch das sie auf die Straße schauen könnte, wenn die Stunde mal wieder nicht vorbeigehen wollte.

Lehrerin Breier, eine etwas untersetzte ältere Frau, erhob sich hinter ihrem Pult und schaute mit grauen Augen in die Klasse. Sie unterrichtete acht Jugendliche, von denen nur zwei körperlich anwesend waren, was sie aber nicht irritierte. Die sechs anderen schauten über Tischkameras zu, die auf ihren Plätzen angebracht waren. Auch Laura würde nicht extra zur Schule gehen, wenn sie heute nicht mit dem Referat dran wäre. Sie strich sich eine rote Haarsträhne aus dem Gesicht und zupfte kurz an ihrer weißen Bluse, bevor Breier sie aufrief. Als sie vor der Klasse stand, die aus sieben leeren Tischen und aus Silke bestand, die immer herkam, leicht schielte und etwas ungepflegt wirkte, wurde sie doch ein bisschen nervös. Verlegen fuhr sie mit den Händen über die Knöpfe ihrer Bluse, während Silke ihr aufmunternd zulächelte. Laura ärgerte sich, warum Ben und Deniz nicht wenigstens heute mitgekommen waren. Sie ging auch immer zur Schule, wenn einer von ihnen was vortragen mussten. So macht man das doch, man unterstützt sich gegenseitig. Während sie so darüber nachdachte, ging ihr außerdem durch den Kopf, dass Silke bei ihren Vorträgen immer vor einer ganz leeren Klasse stehen muss. Sie nahm sich vor, herzukommen, wenn Silke wieder an der Reihe war.

„Spielst du 3D-Szenen ab?“, erkundigte sich Breier.

„Nein, alles mündlich.“

Die Lehrerin nickte und so blieb es bei der weißen Wand, während Laura begann.

„Ich rede heute über die Geschichte unsere WeWorld“, fing sie an und ließ die Knöpfe der Bluse los, um die Arme vor dem Bauch zu verschränken, „wir hier in der Klasse sind ja alle schon in der WeWorld geboren worden, deswegen kennen wir nichts anderes. Es gab aber auch Zeiten, in denen die Menschen anders lebten. Früher gab es etwas, das Staatsbürgerschaft hieß, das haben Staaten ausgegeben. Eine Staatsbürgerschaft wurde nur an Bürger eines Landes vergeben und schloss alle anderen Menschen aus. Eigentlich eine ziemlich miese Sache, die zu viel Gewalt und sogar Kriegen führte. Staaten konnten gleichzeitig nicht so schnell auf Krisen reagieren, was in relativ naher Vergangenheit ihr zögerliches Handeln gegen den Klimawandel, die Corona-Pandemie und die große indische Hungersnot bewiesen. Andererseits ist es aber unfair, die Gesellschaften der Vergangenheit mit unserer Zeit zu vergleichen, die waren halt noch nicht so weit wie wir. Sonst hätten sie das mit den Staatsbürgerschaften nicht gemacht, sondern wie wir mit den Mitgliedschaften. Jeder kann Mitglied einer ComNation wie WeWorld werden und wenn ihm eine andere besser gefällt, kann er die Mitgliedschaft kündigen und sich der anderen anschließen und-“

„Liebe Laura, Entschuldige die Unterbrechung, aber was ist eine ComNation?“, fragte Lehrerin Breier und legte ihrer Schülerin dabei beruhigend die Hand auf die Schulter.

„Ach so, stimmt, das habe ich ganz vergessen zu erklären. ComNation ist ein Kunstwort aus Company und Nation und ist die Art von Gesellschaft, die wir heute haben. Früher lebten die meisten Menschen in Diktaturen und heute eben in-“

„In was lebten die Menschen früher?“, mischte sich Breier wieder ein, deren Haar streng zu einem Dutt verknotet war.

„In Diktaturen.“

„Durch was zeichneten sich Diktaturen aus?“

„Wahlen, Gewaltenteilung, Minderheitenschutz und-“

„Du hast da was verwechselt, mein Kind!“

„Wie, verwechselt?“

„Was du da aufzählst, gehörte zu Demokratien, nicht zu Diktaturen.“

„Stimmt, das andere mit D. Ist aber auch nicht so wichtig, weil das alles nur eine Übergangsphase zu unserer Gesellschaftsform war, der ComNation.“

Laura dachte einen Moment nach und fuhr dann fort: „ComNations sind Aktienunternehmen, die alle Aufgaben übernehmen, die früher ganz umständlich zwischen Staat und Privatwirtschaft aufgeteilt wurden. Deswegen gab es damals auch viel Gewalt in der Gesellschaft als heute.“

Sie dachte kurz nach.

„Ja, das war mein Referat.“

Breier lächelte ermutigend und wendete sich dann an die Mitschüler: „Gibt es Fragen?“

An den Tischen blickten sechs Kameraaugen ausdruckslos zur Tafel. Silke meldete sich.

„Kannst du was zu unseren Brillen sagen?“

„Toll, Silke“, lobte Frau Breier, „eine sehr gute Frage!“

„Wir haben die Brillen auf, weil sie die Welt ordnen“, fing Laura an und fuhr sich dabei über ihre eigene, „sie sind organisch mit der Haut verbunden, können jedoch innerhalb von dreißig Sekunden entfernt werden, ohne dass es Narben gibt. Dafür muss einer von der Kundenhotline eine Tablette schicken. Es gibt aber auch Spritzen dafür, die er schicken könnte.“

„Das ist spannend, Laura. Möchtest du noch mehr über die Aufgabe der Brille sagen?“, wollte Breier wissen.

Laura dachte kurz nach: „Die Brille filtert die Welt. Es gibt drei mögliche Tarifstufen, die wir Mitglieder abschließen können. Basic, Medium und Premium und nur in der höchsten davon sieht man alles um sich herum. Im Medium, zu dem auch in unserer Klasse die meisten gehören, sind einige Objekte zensiert. Zum Beispiel alle Sehenswürdigkeiten der Klasse 1*.“

„Was gehört zu 1*?“, warf die Lehrerin ein.

„Wir könnten jetzt zum Beispiel nicht die Pyramiden sehen, die sind 1*. Und wir könnten vor allem den Mond nicht sehen. Dafür müsste man schon in den Premium-Tarif wechseln. Aber der ist richtig teuer, ich kenne niemanden, der ihn hat. Im Premium- und Mediumtarif sieht man alles in Farbe, nur im Basistarif ist alles grau.“

„Und ist das gerecht mit den Filtern?“, wollte Breier wissen.

„Ich bin ja im Mediumtarif und sehe darum keine Farben. Das ist schade, aber auch im Mediumtarif sehen wir alles, was für das Leben wichtig ist. Außerdem ist die WeWorld ein sicherer Ort und alle Menschen werden hier auf dem gleichen hohen Niveau medizinisch betreut. Im Zeitalter vor den ComNations war das alles nicht selbstverständlich.“

„Richtig“, lobt Breier, „meine Großmutter kannte noch Leute aus dem Staaten-Zeitalter, die an Krebs gestorben sind!“

„Echt, an Krebs?“

„Ja, früher sind da Millionen dran gestorben, damals gab es noch keine Tabletten dagegen.“

„Wie verrückt.“

„Ja, das kann man sich heute nicht mehr vorstellen. Noch eine letzte Frage: Was ist, wenn jemand nicht mehr Mitglied der WeWorld sein will?“

„Dann kündigt man zum Monatsende sein Abo und kann sich einer anderen ComNation anschließen.“

Breier nickte: „Ja, liebe Laura, dann hab vielen Dank, das war ein interessanter Einblick in die Geschichte der WeWorld. Gibt es Feedback von der Klasse?“

Während sie zu ihrem Platz lief, meldete sich einer der Schüler über den Computer.

„Ich habe durch das Referat viel gelernt!“

„Vielen Dank für deine Eindrücke, Ben“, antwortete Breier.

„Ich fand es erhellend“, erklärte Silke.

„Das sind positive Reaktionen, Laura, und zwar sehr verdient. Du warst gut vorbereitet und hast alles erklären können. Da gebe ich dir 96 Prozent für“, entschied Breier und Laura lächelte stolz. Die Lehrerin fuhr fort: „Ergänzend zu diesem Referat will ich euch darauf hinweisen, dass der renommierte Sachbuchautor Karl-Heinz Jansen gerade ein neues Buch zur Entwicklung der Menschheit von der Antike bis zur ComNation veröffentlicht hat. Er stellt es demnächst in der Thorgarten-Show vor. Wer sich dafür interessiert, sollte da einschalten!“

„Danke! Das werde ich bestimmt ansehen“, freute sich Laura.

„Damit ist der Unterricht für heute vorbei. Habt noch einen schönen Tag, von wo auch immer ihr gerade zuschaut. Der Stream wird in zehn Sekunden abgebrochen.“

Laura verließ das Gebäude und lief die Straße entlang, bevor sie an einer Kreuzung stehenblieb, an der Autos und SkyCars beinahe lautlos entlangfuhren und schwebten. Sie schaute einigen Wolken nach, die langsam über den blauen Himmel zogen. Zumindest nahm Laura an, dass der Himmel in Wirklichkeit blau war, obwohl er für sie grau aussah. Ihre ganze Welt war grau. Ihre Eltern konnten sich den Mediumtarif nicht leisten und den Premiumtarif schon gar nicht. Aber natürlich wusste sie, dass die richtige Himmelsfarbe blau war. Basistarif hieß ja nicht, dass man ungebildet war. Das eine hatte nichts mit dem anderen zu tun und außerdem – „Hab ich dich!“

Laura schrie vor Schreck auf, als sie jemand an ihren roten Haaren packte.

„Spinnst du?“, schimpfte sie, nachdem sie herumwirbelte und sah, wer da vor ihr stand.

„War doch nur ein Witz“, entschuldigte sich Ben lachend. Seine braunen Haare quollen unter der blauen Mütze hervor wie Federn aus einem geplatzten Kissen. In seinem Gesicht gab es zwar noch einige Pickel, aber die schlimmste Pubertäts-Akne lag hinter ihm.

„Anschleichen ist aber nicht witzig!“, schimpfte Laura weiter.

„Deine Reaktion aber schon!“

Er beugte sich vor und wollte sie küssen.

„Nein, wenn ich mich erschrecke, bin ich eine Stunde kussunfähig!“

„Was? Eine ganze Stunde?“, rief er empört, „viel zu lang!“

„Selbst schuld“, blieb sie stur.

„Ich glaube, du bist einfach nervös wegen dem, was wir jetzt vorhaben!“

„Was soll mich da nervös machen?“

„Na ja, wer weiß, was uns da erwartet.“

„Es ist ein Antiquariat! Ich freu mich immer, wenn wir ein neues entdecken!“

„Du hast keine Ahnung, was für gefährliche Dinge die Leute der Steinzeit uns hinterlassen haben!“

„Zum einen besteht die Vergangenheit nicht nur aus Steinzeit und zum anderen sage ich dir, was wirklich unheimlich ist! Ein Referat vor sieben leeren Tischen und einer Silke zu halten. Du hättest beim Referat dabei sein sollen!“

„Ich war doch da!“

„Ich meine richtig.“

„Und du hättest kritisieren sollen, dass der Mond zensiert wird“, gab er zurück und auch wenn er sie mit den Vorwürfen neckte, schwang auch etwas ernst mit.

„Ich wollte eine gute Note, warum soll ich die wegen eines Streits mit der Breier über den Mond riskieren?“

„Manchmal muss man aber streiten.“

Er zeigte auf sein Hemd, auf dem eine Mondrakete zu sehen war, die sich den Sternen nähert.

„Aber das war keiner dieser Momente!“

„Du findest also, dass man sich nur in der Thorgarten-Show streiten darf?“

„In der was?“

„Die Show mit dem Autor und seinem Buch, die Breier empfohlen hat und die du unbedingt gucken willst.“

„Ach so, das hatte ich doch auch nur so gesagt, um nett zu sein“, winkte sie lachend ab.

Während sie sich unterhielten, liefen sie Hand in Hand die Straße entlang. Um sie herum strebten die Hochhäuser wie stoische Riesen dem Himmel entgegen und Drohnen schwebten eifrig an ihnen vorbei, um Bestellungen abzuliefern. Sie durchquerten einen kleinen Park mit See und bogen schließlich in eine weitere Straße ein, in der Reihenhäuser die Hochhäuser ersetzt hatten. Hier ging es auch sonst deutlich ruhiger zu. Kaum Verkehr, wenige Drohnen.

„Haut ab! Euch wollen wir hier nicht!“, schrie jemand von der anderen Straßenseite.

„Hau du doch ab!“, antwortete Ben und stürmte hinüber, um mit Deniz zu ringen, der dort auf sie gewartet hatte. Deniz war etwas kleiner und fiel vor allem durch eine Lücke zwischen den Schneidezähnen auf. Zwar wäre es kein Problem, diese zu schließen, aber er bildete sich ein, dass die Mädchen ihn so attraktiver fanden. Außerdem hatte er etwas übergewichtig, was er durch ausladende T-Shirts zu verschleiern suchte. Sein dunkelblondes Haar hatte er auf wenige Zentimeter gekürzt, damit seine Zahnlücke mehr auffiel.

„Was für ein süßer Boy“, flirtete Laura und deutete dabei auf seine Zahnreihe.

„Bist leider nicht mein Typ, viel zu Rot!“, machte ihr Deniz keine Hoffnungen und deutete auf ihr Haar.

„Da hast du mir früher aber ganz andere Sachen über Laura erzählt“, meinte Ben gut gelaunt.

„Zählt denn die Beste-Freunde-Schweigepflicht gar nichts mehr?“, kam es gespielt empört zurück und Laura wechselte erfolgreich das Thema, als sie mit Blick auf das Antiquariat, vor dem Deniz gewartet hatte, „wow“ murmelte. Es befand sich im Erdgeschoss eines zweistöckigen Hauses, das zwischen den deutlich höheren Nachbarhäusern wie eingeklemmt wirkte. Wer nicht aufpasste, konnte sogar das Holzschild über der Türe übersehen, auf dem Früherladen stand.

„Mal sehen, ob wir hier neues Zeug aus der Steinzeit finden“, murmelte Deniz, als er die Türe öffnete und ein Glöckchen ihr Eintreten verriet. Schon, dass er sie mit der Hand aufmachen musste und sie nicht lautlos zur Seite glitt, sorgte bei den Dreien für Aufregung. Hinter solchen Türen konnten sich wahre Schätzen aus alten Zeiten verbergen. Modriger Geruch stieg ihnen in die Nase. Nichts von dem, was sie besaßen, hatte diesen Geruch. Zwei nackte Lampen hingen an der Decke und sorgten für schummriges Licht, das kaum in die Ecken des großen Raums vordrang. Auf allen Tischen türmten sich angestaubte Gegenstände in die Höhe, die dabei ohne einer bestimmten Ordnung zusammenlagen.

„Schau mal!“ Laura zeigte auf einen Webstuhl, den Spinnennetze wie ein durchsichtiges Kleid umhüllt hatten. Ben setzte sich einen Soldatenhelm auf und Deniz lief mit einer Kettensäge und weit aufgerissen Augen auf seine Freunde zu. Sie griffen sich Puppen und Sportschuhe, Gemälde und Regenschirme, Kopfhörer und Scheibentelefone. Es kam ihnen vor, als würden sie im Hausrat entfernter Vorfahren stöbern. Sie liefen staunend von Tisch zu Tisch. Durch ein kleines Fenster fielen dünne Sonnenstrahlen herein, die neben den kraftlosen Lichtern der Lampen ebenfalls etwas Helligkeit spendeten. Wo sie die Luft zerschnitten, sah man Staubkörner tanzen. Deniz griff sich einen Lockenwickler und kämpfte gegen einen imaginären Gegner. Er machte mehrere Schritte rückwärts, bevor er gegen etwas Großes und Schweres stieß, das ein schepperndes Geräusch verursachte. Erschrocken wich er zurück, stolperte und fiel hin. Ben und Laura lachten, während er noch irritiert murmelte: „Was ist das?“

Vor ihm stand jemand, der von Kopf bis Fuß in einer Rüstung steckte.

„Ein Ritter“, erklärte Laura, „du bist gegen einen Ritter gelaufen!“

„Man, wer stellt auch so ein Ding mitten in den Weg?“

„Keine Sorge, der Herr Ritter schläft gerade, kannst dich beruhigen“, lachte Ben.

„Ich will dich mal sehen, wenn du plötzlich so einem Ungetüm gegenüberstehst!“

Immer noch grinsend half Ben ihm auf die Beine, als hinter der Rüstung ein alter Mann erschien. Seine Haut wirkte so grau, als habe die ständige Düsternis des Früherladens ihr jede Farbe entzogen. Er trug eine Kappe auf dem Kopf und seine Stimmung schien irgendwas zwischen beunruhigt und gereizt zu sein.

„Was ihr kaputt macht, müsst ihr kaufen! Hier ist alles zwischen 50 und 5000 Jahren alt und für jedes Jahr berechne ich einen C-Dollar!“

„Tut uns leid, wir passen besser auf!“, versprach Laura und setzte direkt nach „aus welchem Jahrhundert ist der Ritter denn?“ Damit wendete sie einen Trick an, der bei Erwachsenen immer funktionierte. Sie prahlten immer gerne mit ihrem Wissen, dieser hier bildete da keine Ausnahme.

„Ritter gab es vom frühen fünften Jahrhundert bis ins später 20. Jahrhundert. 1500 Jahre lang. Es ist aber schwer zu sagen, aus welcher Epoche dieser hier konkret ist. Ich würde schätzen, aus den Goldenen Zwanzigern im 20. Jahrhundert.“

„Schon beeindruckend!“

„Habt ihr Interesse an ihm?“

„Wie teuer wäre er?“, fragte Ben.

„50 C-Dollar.“

„Das ist zu viel. Wie wäre es mit 30 C-Dollar?“

„50 ist schon wenig und bei 30 zahle ich drauf. 40 C-Dollar.“

„35.“

„38. Weniger geht nicht und Gewinn mache ich bei dem Preis auch nicht mehr.“

Dabei schaute er die drei Jugendlichen an, als ob sie ihm etwas angetan hätten.

„Okay, wir überlegen es uns“, meinte Ben zum Ladenbesitzer, der sich nickend zurückzog.

Sie gingen weiter und schwiegen einige Schritte lang, bevor Deniz murmelte: „Was soll das? Wir brauchen keinen Ritter.“

„Natürlich brauchen wir keinen. Es hat mich nur interessiert, wie teuer er ist.“

„Und ich glaube auch nicht, dass es im 20. Jahrhundert noch Rit-“

„Nein, gab es nicht.“

„Aber warum sagt er das dann?“

„Weil er nicht schweigen konnte“, meinte Ben gleichgültig.

„Schaut mal!“ Laura hatte auf einem der zahllosen Wühltische etwas gefunden. Es sah aus wie ein dickes Brett, in das zwei Rädchen eingebaut waren.

„Ich weiß, was das ist. Das nennt man Videokassette!“, erklärte Deniz, „meine Schwester hatte mal so eine vom Trödelmarkt!“

„Aber das Beste hast du noch gar nicht gemerkt!“ Sie deutete auf die Beschriftung: Mondlandung 21. Juli 1969 (Mitschnitt)

„So was fehlt uns noch!“, freute sich Ben, „das kaufen wir!“

Als sie kurz darauf an der Kasse standen und die Videokassette auf den Tresen legte, schien der Alte den Ritter schon wieder vergessen zu haben. Jedenfalls fragte er nicht mehr, ob sie ihn nun haben wollen. Stattdessen meinte er mit Blick auf die Videokassette: „Die schenke ich euch, wegen des Schrecks mit der Rüstung! Ihr könnt sie haben, nehmt sie.“

„Wirklich?“, fragte Ben überrascht nach.

„Ja, gerne. Nehmt sie mit!“

„Oh“ Verdutzt schaute Ben die Videokassette an, als ob er irgendetwas übersehen hatte. Dann griff er sie schnell, bevor der Verkäufer es sich noch anders überlegt. Zufrieden machten sie sich auf den Weg zum Ausgang, als der Alte ihnen nachrief.

„Ich nehme an, ihr habt einen Videorekorder?“

„Einen was?“ Ben wusste nicht, was er meinte.

„So eine Kassette kann nur im Videorekorder abgespielt werden.“

„Haben wir nicht.“

„Die gibt es nicht mehr im regulären Handel, längst ausgemustert“, kam es mit bedauerndem Unterton, bevor er ergänzte, „höchstens gut sortierte Antiquariate könnten sie noch haben.“

„Oh“, Ben dachte kurz nach, „haben Sie einen?“

„Ich seh mal nach.“

In einer der dunklen Ecken des Ladens wurden Gegenstände scheppernd umhergeschoben, wobei der Alte beständig über den vielen Staub fluchte. Schließlich tauchte er aber wieder auf und hielt einen Kasten in den Händen, den er auf den Tresen stellte.

„Da habt ihr Glück gehabt, das ist der Letzte.“

„Toll!“, freute sich Ben, „wie viel?“

„20 C-Dollar.“

„So viel?“

„Ihr habt dafür ja schon die Kassette kostenlos bekommen, die hätte eigentlich 5 C-Dollar gekostet. Ihr habt also schon gespart.“

„15 C-Dollar?“

„18 C-Dollar und keinen weniger.“

„Na gut.“

Ben legte das Geld auf den Tresen.

„Na dann, viel Spaß euch!“

Wieder hatten sie den Laden fast verlassen, als sie die Stimme des Alten erneut hörten.

„Ihr habt einen Fernseher, nehme ich an? Also einen von ganz früher, an den man den Rekorder anschließen kann? Mit der modernen Technik kommt man bei diesem alten Zeug nicht weit.“ Ben spürte, wie er wütend wurde. Doch er unterdrückte den Zorn und fragte direkt: „Haben Sie einen?“, und schon wuchtete der Verkäufer einen auf den Tresen.

„Das ist ein Schwarz-Weiß-Röhrenfernseher, das waren die zuverlässigsten im 15. Jahrhundert. Kolumbus hatte einen dabei, als er Amerika entdeckte.“

„Er sieht mehr aus wie ein Stein“, kommentierte Deniz.

„Oder wie etwas, wo man sich draufsetzt“, fiel Laura ein.

„Wie viel?“, kam es von Ben.

„120 C-Dollar.“

„Das ist absurd.“

„Qualität hat ihren Preis und ihr wollt die Kassette doch sicherlich auf einem guten Fernseher sehen, nehme ich an?“, warf der Alte ein, dessen Augen so ausdruckslos wirkten, als ginge ihn das hier alles nichts an.

„Wir müssen überhaupt erst mal einen Fernseher haben, Qualität egal“, merkte Deniz an und begriff zu spät, dass der Alte genau dieses Eingeständnis provozieren wollte.

„80 C-Dollar“, schlug Ben vor, aber er klang nicht optimistisch.

„Auch wenn ich euch mag, kann niemand von mir verlangen, mich zu ruinieren. Ich bin euch schon in allem anderen entgegengekommen. Das hier ist immerhin der originale Fernseher, den Kolumbus auf seiner Kajüte stehen hatte.“

„Ach, jetzt ist es schon der persönliche Fernseher von Kolumbus, das ging schnell“, warf Deniz ein.

„Wie viel wollen Sie?“, überging Ben den Streitpunkt, was nun in der Kajüte von Kolumbus stand oder auch nicht.

„90 C-Dollar, weniger geht nicht und schon das macht mich arm.“

„90 C-Dollar?“ Ben ärgerte sich, das war viel zu viel Geld. Aber ohne Fernseher konnten sie mit der Kassette und dem Rekorder nichts anfangen. Während er noch überlegte, was sie tun sollten, flüsterte ihm Laura etwas ins Ohr.

„Gute Idee“, gab er ebenso leise zurück und wendete sich wieder an den Verkäufer.

„Okay, 90 C-Dollar, aber dafür bekommen wir noch etwas dazu!“

„Denkst du da an etwas Bestimmtes?“, erkundigte sich der Alte.

„Ja!“