Ein Wunder wär jetzt nicht schlecht - Die Bibel als Fortsetzungsroman (32): Der Retter Gideon-Jerubbaal
Mal wieder hieß es: „Die Israeliten taten, was in den Augen des HERRN böse ist“, was sie wirklich nicht tun sollten. Zumindest sollten sie nicht mehr überrascht sein, wenn Gott sie dafür bestraft. Im aktuellen Fall nun mit sieben Jahren Unterdrückung durch die Midianer, die zusammen mit ihren Verbündeten die Ernten der Israeliten zerstörten. Vermutlich wusste der eine oder andere dieser neuen Herrscher auch, wie brutal die Israeliten einst selbst gegen ihre Gegner vorgingen. Gemessen daran war die ständige Zerstörung der Infrastruktur noch eine eher humane Art, mit seinem besiegten Feind umzugehen.
Allerdings sollte dieser Zustand nicht ewig anhalten. Was im wesentlich mit einem Israeliten zu tun hatte, der Gideon hieß und gerade Weizen vor den Midianitern versteckte, als „der Engel des HERRN“ ihm begegnete. Der himmlische Bote hatte es offenbar nicht eilig, denn er setzte sich unter eine Eiche und schaute dem Mann bei seiner hastigen Arbeit zu.
Schließlich erhob er sich und trat vor Gideon, um ihm mitzuteilen: „Der HERR sei mit dir, starker Held!“ Gideon, den die ständigen Übergriffe der Midianer misstrauisch gemacht hatten, blieb gegenüber diesem Fremden reserviert. Außerdem hatte er so seine Zweifel, ob das elende Leben, das die Israeliten gerade ertragen mussten, wirklich dafür sprach, dass der HERR mit ihm war.
Darum äußerte er diesen Verdacht auch ganz direkt: „Mit Verlaub, mein Herr, ist der HERR wirklich mit uns? Warum hat uns dann all das getroffen? Wo sind alle seine wunderbaren Taten, von denen uns unsere Väter erzählt haben?“ Offenbar hatte sich da einiges an Wut angestaut, denn er hörte gar nicht mehr auf: „Sie sagten doch: Hat uns der HERR nicht aus Ägypten heraufgeführt? Jetzt aber hat uns der HERR aufgegeben und uns in die Hand Midians gegeben.“
Ein Engel, der alle Fragen ignoriert
Als schließlich der Engel des HERRN das Wort ergriff, ging er nicht einen Moment lang auf die Vorwürfe Gideons ein. Stattdessen sagte er: „Geh in dieser deiner Kraft und rette Israel aus der Hand Midians! Sende ich dich nicht hiermit?“ Noch war der Engel für Gideon weiterhin nur ein etwas skurriler Fremder, der sich unter eine Eiche gesetzt hatte und dabei zusah, wie der Israelit sich mit den Verstecken für den Weizen abmühte. Und jetzt forderte er ihn auf, seine Peiniger zu besiegen. Vermutlich hielt Gideon ihn zu diesem Zeitpunkt eher für einen Wirrkopf, der sich womöglich für Gott hielt und keinesfalls für den Egel Gottes selbst.
Entsprechend skeptisch blieb er auch erstmal, wobei er zugleich auch ungewöhnlich höflich war: „Mit Verlaub, Herr, womit könnte ich Israel retten?“ Außerdem erwähnte er die geringe Zahl seiner Männer und dass er außerdem der jüngste seiner Brüder sei. Alles wichtige Argumente dafür, dass er seinem Volk und sich wohl weiterhin mit dem Verstecken von Vorräten am meisten helfen könnte.
Doch der Fremde ließ nicht locker. „Ich werde ganz gewiss mit dir sein und du wirst Midian schlagen, als wäre es nur ein Mann.“ Um richtig einschätzen zu können, wie ernst er die Worte des Fremden nehmen kann, fehlte Gideon aber weiterhin eine ganz entscheidende Information: spricht er hier gerade mit Gott oder einem Hochstapler. Darum fragt er: „Gib mir ein Zeichen dafür, dass du selbst es bist, der mit mir redet“ und Gott willigte ein und Gideon legte Fleisch und Brot auf einen Felsen. Dann berührte Gott (an dieser Stelle ist von seinem Boten keine Rede mehr, der offenbar wusste, wann man sich dezent verabschieden sollte) beides mit seinem Stab und schon fing der Stein an zu brennen.
Gideon war beeindruckt, wobei er es sicherlich auch gewesen wäre, wenn der Stein einfach so gebrannt hätte. Nachdem er begriffen hatte, dass er gerade also Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen hatte, überkam ihn große Angst, denn er wusste, dass kein Mensch das Angesicht des HERRN sehen kann, ohne sterben zu müssen. Nur Moses war die große Ausnahme gewesen. Doch nun machte Gott auch Gideon zur Ausnahme und auf gewisse Weise ähnelt seine Zusammenarbeit mit Gideon der mit dem Überpropheten Moses auf erstaunliche Weise.
In beide Fällen suchte sich Gott keinen Anführer aus, der sich direkt aufdrängen würde. Der eine, Moses, lebte nicht mal unter den Israeliten und der andere, Gideon, spielte in der Hierarchie seines Volks keine Rolle. Außerdem hatten beide niemals Ambitionen, zu Rettern zu werden und beide reagierten zu Beginn skeptisch auf Gott, der sie erst mit Wunderzeichen überzeugen musste. Nun aber hatte er Gideon überzeugt und auch gleich einen Auftrag für ihn. Die Art dieses Auftrags zeigt auch schon, wie dramatisch weit sich die Israeliten von dem entfernt hatten, was ihre Vorfahren einst am Berg Sinai mit Gott schriftlich ausgemacht hatten: Ihr dürft keine Götter neben mir haben.
Mittlerweile sah die Wahrheit so aus, dass die Israeliten nicht mehr nur Götter neben ihm hatten, sondern, dass große Teile des Volks nur noch diese Götter hatten. Der HERR wurde von vielen kaum noch verehrt. Erst die harte Zeit unter den Midianitern brachte die Israeliten dazu, in ihrer Not den alten Gott anzurufen. Was letztlich auch zu dessen erscheinen unter der Eiche führte, von der aus er seine Pläne mit Gideon einfädelte. Der wie folgt lautete: Gideon sollte den Altar zu Ehren eines anderen Gottes, genannt Baal, zerstören, den sein Vater aufgestellt hatte. Ja, so weit war es schon gekommen.
Wer wie ein Hund trinkt, wird ausgewählt
In der Nacht zerstörte er also diesen Götzen und als die Menschen am nächsten Morgen aufwachten, staunten sie nicht schlecht, als sie sahen, dass an die Stelle des Baal-Altars einer für den HERRN getreten war. Und nachdem sie mit dem Staunen fertig waren, kam die Wut. Die Wut auf den, der für diese Zerstörung verantwortlich war und sie hätten Gideon getötet, wenn sein eigener Vater ihn nicht gerettet hätte. Dieser forderte Baal auf, selbst Rache zu nehmen, wenn ihn diese Verwüstung stört. Er tat nichts und damit hatte der wütende Mob eine wesentliche Rechtfertigung weniger und löste sich auf.
Es kann jedoch sein, dass die Israeliten gar nicht vor allem aus Treue zu Baal so empört waren, sondern wegen dem, was nun folgte. Die Zerstörung dieser heiligen Stätte blieb nämlich nicht unbemerkt und schon zog sich eine große Armee zusammen, um die Israeliten dafür zu bestrafen. Gideon rief seinerseits die Israeliten auf, sich ihm anzuschließen und auch er kam auf eine beachtliche Zahl von Mitstreitern, wenn auch deutlich weniger als seine Gegner. Es war klar, dass es ein göttliches Eingreifen brauchte, um diese Schlacht zu gewinnen. Darum wollte Gideon auf Nummer sicher gehen, ob er tatsächlich mit einer solchen Hilfe rechnen konnte und bat um ein weiteres Zeichen nach dem brennenden Felsbrocken, auf dem Fleisch und Brot gestanden hatten.
Nun legte er ein Stück Wolle auf den Boden einer Scheune und bat Gott: „Wenn Tau allein auf der Wolle und auf dem ganzen Boden Trockenheit sein wird, dann werde ich erkennen, dass du durch meine Hand Israel retten willst.“ Danach ging er schlafen und am nächsten Morgen kehrte er in die Scheune zurück und die Wolle hatte sich mit Wasser vollgesogen, aber der Boden war trocken. Doch die Armee der Midianiter hatte wirklich gewaltige Ausmaße, weswegen Gideon absolut sicher sein wollte und so bat er Gott, dass er ihm noch ein Zeichen sendet. Dieses Mal sollte der Boden nass und die Wolle trocken sein. Gideon ging wieder schlafen, stand auf und trat in eine feuchte Scheune, in deren Mitte die trockene Wolle lag. Nun verzichtete er auf weitere Zeichen, zumal die Auswahl an Möglichkeiten mit Wolle und Scheunenboden ohnehin ziemlich erschöpft waren.
Vermutlich wurde Gideon selbst von der Wucht der Ereignisse am meisten überrascht. Vor wenigen Tagen hatte er noch versucht, Weizen vor den Midianitern zu verstecken und jetzt stand er plötzlich an der Spitze einer Armee von 32.000 Israeliten, die diese Fremdherrschaft abschütteln wollten. Allerdings legten sie sich mit einer Streitmacht an, die deutlich mehr Krieger zählte und was Gott dann noch von Gideon forderte, schien die Machtverhältnisse auch nicht gerade zugunsten der Israeliten zu verschieben. Er sollte 31.7000 von seinen Männern abziehen, wodurch die Armee auf nur noch 300 schrumpfte, während auf der Gegenseite keine solchen Schrumpfungsprozesse stattgefunden hatten.
Erstaunlich an dieser Entscheidung, die wohl kein Stratege in der Weltgeschichte verstehen würde, war auch, wie die 300 ausgewählt wurden. Gideon führte alle Soldaten zu einem nahen Fluss, wo Gott folgende Regel ausgab: „Stell alle, die das Wasser mit der Zunge auflecken, wie es ein Hund tut, auf einen besonderen Platz und ebenso alle, die sich zum Trinken hinknien.“ Es stellte sich heraus, dass dabei alle knieten, bis auf 300, die das Wasser wie ein Hund tranken. Warum Gott in dieser deutlich weniger eleganten und ohnehin untypischen Art zu trinken eine Auszeichnung sah, die für ein wahres Himmelfahrtskommando qualifizierte, behielt er für sich. Aber auf diese Weise hatte Gideon seine 300 Mann zusammen und dass er jetzt nicht doch noch ein paar weitere Wunder als Beweis dafür sehen wollte, dass Gott wirklich Gott ist, spricht für seinen nun gefestigten Glauben.
Der glücklichste Mensch seiner Zeit?
Letztlich gelang es seiner winzigen Truppe, die Midianiter in ihrem Feldlager zu überrumpeln, wobei sich in der allgemeinen Panik viele der Krieger gegenseitig töteten und andere auf der wilden Flucht von nachrückenden Israeliten niedergemacht wurden. Während der Verfolgung der geschlagenen Feinde verweigerten zwei Städte Gideon die Unterstützung, als er um Verpflegung für seine Truppen bat. Er versprach beiden Städten, dass er sich nach dem erfolgreichen Abschluss der Kampfhandlungen an ihnen rächen wird, was er auch tat. In der einen Stadt ließ er die Oberen und die Ältesten öffentlich auspeitschen und der anderen Stadt erging es noch deutlich schlechter, denn diese „riss er nieder und tötete die Männer.“
Womöglich unterschätzten ihn seine Gegner generell, denn auch die beiden gefangenen Midianiterkönige machten diesen Fehler. Nachdem ihre riesige Armee zerschlagen und die Israeliten nun ihre Freiheit wieder hatten, ging es daran, die Unterdrücker zu bestrafen. Gideon wollte es seinem Sohn überlassen, die beiden feindlichen Monarchen zu töten, „aber der Junge zog sein Schwert nicht; er hatte Angst, weil er noch so jung war.“ Vielleicht bestand da für einen kurzen Moment die Möglichkeit für die zwei Gefangenen, lebend aus dieser Sache rauszukommen, wenn sie sich nur schlau genug anstellen.
Das taten sie aber nicht, sondern reizten Gideon mit der Aufforderung: „Steh selbst auf und schlag uns nieder!“ Was hatten sie sich davon erhofft? Dass er dazu nicht in der Lage ist und sie darum beschämt in die Freiheit entlässt? Gideon jedenfalls grübelte nicht lange über den tieferen Sinn dieser Aufforderung nach, weswegen es in der Bibel auch nur lapidar heißt: „Da stand Gideon auf und tötete Sebach und Zalmunna.“ Damit setzte er den blutigen Schlusspunkt unter das womöglich spektakulärste Militärmanöver der israelitischen Geschichte, bei dem eine Truppe von dreihundert Mann (okay, und Gott) eine übermächtige Armee besiegte.
Insgesamt sollte das Leben von Gideon danach ein Maß an Frieden und Glück erfahren, das für jene Zeit ungewöhnlich war. Es folgten vierzig Jahre Frieden und siebzig leibliche Söhne für den Kanaan-Moses, bevor er im hohen Alter starb, betrauert von seinen zahlreichen Nachkommen, Frauen und dem ganzen Volk. Hatten nun aber die harten Jahre unter der Fremdherrschaft der Midianiter endlich dafür gesorgt, dass endlich dieses schielen nach fremden Göttern aufhört, das am Anfang aller israelitischen Leiden stand?
Erstaunlicherweise lautet die Antwort: Nein: „Als Gideon tot war, kehrten sich die Israeliten ab und hurten hinter den Baalen her und machen den Baal des Bundes zu ihrem Gott.“ Dass eine solche Entwicklung eigentlich nie gut ausging, hätte das Volk so langsam begreifen können. Aber entweder waren die fremden Götter so verführerisch oder die Verdrängung vergangener Bestrafung so erfolgreich (oder beides), dass es trotzdem weiterhin in regelmäßigen Abständen zum Bruch der Bundesregeln mit Gott kam. Was niemanden mehr ärgerte als den HERRN selbst.
(Fortsetzung folgt…)