Kohelets Sicht auf die Welt nahm zunehmend Züge allumfassender Gleichgültigkeit an, da ohnehin „alles Windhauch“ sei. Doch manche Dinge beschäftigten ihn trotzdem weiterhin, vor allem, wenn sie mit dem eigenen Machterhalt zu tun hatten. So meinte er besorgt: „Ich habe beobachtet, dass alle Lebenden, die unter der Sonne umherlaufen, sich auf die Seite des nächsten jungen Mannes stellten, der statt eines alten und ungebildeten Königs hochkommt.“ Wobei er solchen umjubelten Aufsteiger gleich eine düstere Warnung vorausschickte: „Im Übrigen werden die Späteren auch mit ihm nicht zufrieden sein“ und schon werde es erneut einen umjubelten Jüngling geben, der zum König anstelle des alten Königs wird.

Danach drehten sich Kohelets Gedanken wieder um Gebildete und Ungebildete oder in diesem Fall Reiche und Arme, wobei er fand: „Süß ist der Schlaf des Arbeiters, / ob er wenig oder viel zu essen hat“, behauptet er und fand, dass die Armen froh sein können, nicht reich zu sein: „Dem Reichen raubt sein voller Bauch / die Ruhe des Schlafes.“ Der König hatte seine Gesellschaftskritik aber nicht bis ins letzte hinein durchdachte, denn gleichzeitig sah er Reichtum als ein Geschenk Gottes an, das einen von der Trostlosigkeit des Lebens ablenkte. Schließlich sei „alles Arbeiten des Menschen für den Schlund des Totenreichs und dessen Rachen wird niemals voll.“ Er ging so weit zu behaupten, nicht geboren zu werden sei einem langen Leben mit „hundert Söhnen“ vorzuziehen, wenn dieses Leben nicht im Reichtum zugebracht werden kann, der von eben diesem trostlosen Ende ablenkt.

Über sein Grübeln rund um die Welt scheint der König jede Fröhlichkeit und Leichtigkeit verloren zu haben. Sich zu ärgern sei besser als zu lachen, die Gesellschaft von Trauernden der von fröhlichen Menschen vorzuziehen und eine Mahnrede dem Gesang. Außerdem gab es etwas, was stärker „als der Tod“ sei: die Frau. Wobei das keinesfalls als Kompliment gemeint war, schließlich handelt es sich bei ihr um „einen Ring an Belagerungstürmen“, deren Herz ein „Fangnetz“ sei, das die Arme „fesselt.“

Die Frau bedroht den Mann mit Belagerungstürmen

So aufgerüstet verfolgt die Frau den Mann und „wem Gott wohlwill, der kann sich vor ihr retten, / wessen Leben verfehlt ist, wird von ihr eingefangen.“ Er hatte noch eine Reihe von Weisheiten mitzuteilen, von denen eine lautet: „Es gibt im Krieg keinen Urlaub“ und die andere: „Ein lebender Hund ist besser als ein toter Löwe“, wobei das wohl auch in biblischen Tagen mehr Konsens als Streitpunkt gewesen sein dürfte. So wie das hier: „Der Schlangenbeschwörer hat keinen Vorteil, / wenn die Schlange beißt, bevor er sie beschworen hat“

Zum Abschluss fand Kohelet zu einem stoischen Pragmatismus, der immerhin positiver war als seine bisherige Niedergeschlagenheit. Man sollte das Leben nun doch so gut es geht nutzen. „Alles, was deine Hand, solange du Kraft hast, zu tun vorfindet, das tu!“, empfahl er nun. Doch wer glaubt, Kohelet sei auf einmal lebenslustig geworden, den bringt er gleich wieder zurück auf den sinnlosen Boden der Tatsachen, indem er klarstellt: „Es gibt weder Tun noch Rechnen noch Können noch Wissen in der Unterwelt, zu der du unterwegs bist.“ Damit wäre das auch geklärt, zumal ein jeder Mensch sich eben dieser Unterwelt jeden Tag ein bisschen mehr annähert. Darum rief er auch „die Jugend“ auf, „sei heiteren Herzens in deinen frühen Jahren!“, schließlich kämen die Jahre allzu schnell, „von denen du sagen wirst: ich mag sie nicht!“

Letztlich ist es nicht überraschend, dass er seine Gedanken über die Trostlosigkeit des Daseins mit einer Reihe von Umschreibung für dessen Ende beschloss, zu denen unter anderem gehört: „Ehe die silberne Schnur zerreiß, die goldene Schale bricht, / der Krug an der Quelle zerschmettert wird, / das Rad zerbrochen in die Grube fällt, der Staub auf die Erde zurückfällt als das, was er war, / und der Atem zu Gott zurückkehr, / der ihn gegeben hat.“

Zum Abschluss des Kapitels heißt es: „Kohelet war ein Gelehrter. Außerdem hat er einfachen Leuten Kenntnisse beigebracht.“ Wobei seine düsteren Kenntnisse vermutlich nicht das waren, was sich die Menschen wünschten, deren Leben im Diesseits schon auf all die Vorzüge verzichten musste, die für Kohelet selbstverständlich waren. Wenn er ihnen nun auch noch erklärte, dass es im Jenseits noch deprimierender zugeht als hier, werden die wenigsten Untertannen nach einer Unterredung mit ihrem König besserer Stimmung gewesen sein als davor.

(Fortsetzung folgt…)