Nach etwas mehr als der Hälfte der Bibel kommt es hier zu einer Neuerung. Erstmals vergeben die Verfasser der Bibel einen spannungsgeladenen Titel, auch wenn dieser noch recht umständlich ist: „Worte Kohelets des Davidsohnes, der König in Jerusalem war“. Und als zweite Neuerung gibt es auch so etwas wie ein melancholisches Vorwort: „Windhauch, Windhauch, sagte Kohelet, Windhauch, Windhauch, das ist alles Windhauch. Welchen Vorteil hat der Mensch von all seinem Besitz, für den er sich anstrengt unter der Sonne?“ Kohelet wirkte nachdenklich und deprimiert, da ihm die Sinnhaftigkeit allen Tuns unklar blieb. Schließlich schien sich doch nur alles zu wiederholen: „Eine Generation geht, eine andere kommt. / Die Erde steht in Ewigkeit“, stellte er dazu fest, um es kurz darauf weiter zuzuspitzen: „Es gibt nichts Neues unter der Sonne.“ Was geschehen sei, werde wieder geschehen und was getan wurde, werde wieder getan, grübelte er und meinte schließlich: „Zwar gibt es bisweilen ein Ding, von dem es heißt: / Sieh dir das an, das ist etwas Neues“, doch auch das sei ein Irrtum, denn: „Das gab es schon in den Zeiten, die vor uns gewesen sind.“
Kohelet, der König Jerusalems, wollte den Sinn des Lebens verstehen, während sein Verdacht war, dass eigentlich nichts wirklich von Bedeutung ist. „Das ist alles Windhauch und Luftgespinst“, fürchtete er, wobei ihm niemand vorwerfen kann, auf gründliches Nachdenken und Grübeln verzichtet zu haben. Er verfolgte dabei immer auch die Fragen, was Wissen ist, was Unwissen ist und was Verblendung. Doch auch hier kam er zum Schluss, dass es sich um Luftgespinste handelt. Seine ganze Einstellung hatte etwas zutiefst negatives, selbst das Lachen hatte keinen Wert, weil es sich letztlich immer um einen „Windhauch“ in der Ewigkeit handelt. Was ihn aber nicht unbedingt zu einem Mann besonderer Demut machte. Er bezeichnete sich im Gegenteil recht unbescheiden als Herrscher, der über mehr Wissen verfügte als jeder seiner Vorfahren (zu denen immerhin auch der sprichwörtlich weise Salomo zählte).
Brüste, Windhauch, und noch mehr Brüste
Als Teil seiner aufwändigen Beschäftigung mit den grundlegenden Fragen des Lebens baute er Häuser, pflanzte Weinberge und legte Gärten und Parks an, in denen er „alle Arten von Bäumen“ wachsen ließ. Er kaufte Sklaven, obwohl er schon „hausgeborene Sklaven besaß“, stellte Sänger ein und „besorgte sich die Lust der Männer“, die er auf die einfache Formel runterbrach: „Brüste und nochmals Brüste.“ Er fasste seine Bemühungen mit den Worten zusammen: „Ich musste meinem Herzen keine einzige Freude versagen. Denn mein Herz konnte immer durch meinen ganzen Besitz Freude gewinnen.“ Trotzdem stand am Ende seiner ebenso intensiven wie rauschhaften Beschäftigung mit dem Sinn des Lebens die bittere Erkenntnis: „Es gibt keinen Vorteil unter der Sonne.“ Womit er meinte, dass es letztlich egal ist, was man macht und tut, da am Ende alle Menschen eben doch das gleiche Schicksal der Vergänglichkeit teilen würden. Wobei seine Mitmenschen ihre Vergänglichkeit vermutlich liebend gerne als reicher König verbracht hätten, der sich jeden Wunsch erfüllen kann, statt als Bauer auf den Feldern zu schuften oder als Arbeiter Steine zu klopfen.
In einer weiteren Erkenntnis teilte er die Menschheit in Wissende und Unwissende und erklärte diese Unterscheidung auch sogleich zu der zwischen guten und weniger guten Menschen. Er stellte fest, dass trotzdem „beide ein und dasselbe Geschick“ trifft, was er höchst ungerecht fand und was ihn sofort wieder in eine Sinnkrise stürzte, denn: „Was den Ungebildeten trifft, trifft also auch mich. Warum bin ich dann über die Maße gebildet?“ Ja, er schob noch nach: „Wie ist es möglich, dass der Gebildete ebenso sterben muss wie der Ungebildete?“ Offenbar gehörte er nicht zu denen, die Bildung als Wert an sich empfanden, sondern jedes angelesene Wissen in der harten Währung Lebenszeit zurückgezahlt haben wollte. Dass ein Großteil seiner Mitmenschen auch deswegen zu den Ungebildeten gehörten, weil sie für die Versorgung ihres Königs zuständig waren und in Staub und Dreck arbeiteten, während er ihnen zum Dank ein kürzeres Leben wünschte, schien er nicht zu bemerken. Seine Verachtung für Ungebildete ging so weit, dass ihn die Vorstellung belastete, dass sein Nachfolger zu jener Gruppe gehören könnte: „Mich verdross auch mein ganzer Besitz, für den ich mich unter der Sonne anstrengte und den ich dem Menschen überlassen muss, der nach mir kommt. Wer weiß, ob er ein Wissender oder Unwissender ist?“
Schließlich kam er übrigens doch noch zu einer Antwort darauf, warum das Leben einen Sinn hat. Es liege an Gott und seinem Wirken, denn: „Alles, was Gott tut, geschieht in Ewigkeit. Man kann nichts hinzufügen und nichts abschneiden und Gott hat bewirkt, dass die Menschen ihn fürchten.“ Es ist nicht ganz klar, warum ihn diese Sicht auf die Welt plötzlich zufrieden machte, denn sie ist eigentlich nur eine ausschweifendere Variante seiner deprimierten Feststellung „es gibt nichts Neues unter der Sonne.“ Aber manchmal lassen sich Lebenskrisen eben schon durch kleine Änderungen in der eigenen Sichtweise lösen. Ja, es ist alles Windhauch auf der Welt, aber es ist immerhin Gottes Windhauch!
(Fortsetzung folgt…)