Ob König David also beim Blick auf diese Verse seines Sohnes zufrieden gewesen wäre, darf bezweifelt werden, womit Salomo gegen ein anderes seiner Sprichwörter verstößt: „Ein weiser Sohn macht dem Vater Freude, / ein dummer Sohn ist der Kummer seiner Mutter.“ Womit auch schon das Thema Erziehung angeschnitten ist, dem Salomo ebenfalls viel Gewicht beimisst: „Wer Erziehung liebt, liebt Erkenntnis, / wer Zurechtweisung hasst, ist dumm“, findet er, um wenig später dramatisch nachzulegen: „Wer Zurechtweisung hasst, muss sterben.“ Er macht auch kein Geheimnis daraus, dass Gewalt und gute Erziehung zusammengehören: „Wer die Rute spart, hasst seinen Sohn, / wer ihn liebt, nimmt ihn früh in Zucht.“ Doch es gibt auch Grenzen der handgreiflichen Pädagogik, auch wenn diese sehr weit ausgelegt werden. So mahnt er: „Doch lass dich nicht hinreißen, ihn zu töten!“ Womöglich vermutete er, dass nicht jeder Sohn – Töchter wurden entweder nicht erzogen oder nicht geschlagen, sie kommen in diesem Rahmen jedenfalls nicht vor – ohne Gegenwehr die körperlichen Züchtigungen ertragen will, weswegen er klarstellte: „Wer den Vater misshandelt, die Mutter wegjagt, / ist ein verkommener, schändlicher Sohn.“ Nur um an andere Stelle nachzulegen: „Wer seinem Vater flucht und seiner Mutter, / dessen Lampe erlischt zur Zeit der Finsternis.“

Er hat auch ansonsten viele weitere Vorschläge zur Lebensführung und zum Umgang mit Menschen und Situationen, wobei er neben Frauen vor allem denen „ohne Verstand“ misstraut. „Wozu denn Geld in der Hand des Toren? / Etwa um Weisheit zu kaufen, da ihm doch der Verstand fehlt?“, will er wissen und hat einen Ratschlag, wie sogar der Tor als kluger Mitmensch wirken könne: „Auch ein Tor kann als weise gelten, wenn er schweigt, / als einsichtig, wenn er seine Lippen verschließt.“ Eng verwandt mit dem Toren ist der Faule, zu dem König Salomo ebenfalls eine klare Meinung hat, die erneut nicht frei von Gehässigkeit ist: „Greift der Faule mit der Hand in die Schüssel, /Bringt er sie nicht einmal zum Mund zurück.“ Und vermutlich floss all seine Verachtung für Tore und Faule in diesem Satz zusammen, der Salomo als biblischen Anhänger des Leistungsgedanken zeigt: „Träge Hand bringt Armut , / fleißige Hand macht reich.“ Das mit Abstand berühmteste Sprichwort dieser zweiten Sammlung lautet aber: „Hochmut kommt vor dem Fall.“

Salomos Erziehungsratschlag: Die Knaben prügeln, ohne sie dabei zu töten

Teil 3 mahnte zur Rücksicht auf Schwächere und warnt: „Beraube den Schwachen nicht, denn er ist ja so schwach, / zertritt den Armen nicht am Tor! Denn der Herr führt den Rechtsstreit für sie / und raubt denen das Leben, die sie berauben.“ Außerdem wird erneut die Züchtigung der Knaben empfohlen und die rote Linie erneuert, die da lautet: den Jungen dabei nicht umbringen. Oder, in den Worten der Bibel: „Erspar dem Knaben die Züchtigung nicht; / wenn du ihn schlägst mit dem Stock, wird er nicht sterben. Du schlägst ihn mit dem Stock, / bewahrst aber sein Leben vor der Unterwelt.“ Zuletzt stellt Salomo außerdem fest: „Wer stets darauf aus ist, Böses zu tun, / den nennt man einen Ränkeschmied.“

In der vierten Sammlung ging es um Aufrichtigkeit. Vor allem vor Gericht, aber auch ganz grundsätzlich: „Wer zum Schuldigen sagt: Unschuldig bist du!, / den verwünschen die Völker dem zürnen die Nationen“ heißt es und: „Sag nicht: Wie er mir getan hat, / so will ich auch ihm tun / einem jeden will ich vergelten, wie es seine Taten verdienen.“ Es werden aber auch Vorschläge dafür erteilt, wie die Lebensplanung aussehen sollte. Dabei wurde eindeutig empfohlen, zuerst einen Arbeitsplatz zu finden und sich selbst zu finanzieren, bevor eine Familie gegründet wird: „Nimm draußen deine Arbeit auf / und bestellt dein Feld, / danach gründe deinen Hausstand.“

Die fünfte Sammlung an Sprichwörtern wurde im Auftrag von König Hiskija gesammelt, wobei Salomo zu diesem Zeitpunkt schon über dreihundert Jahre tot war. Offenbar kursierten seine Weisheiten bis dahin entweder nur mündlich oder in verschiedenen Textsammlungen, die nun zusammengetragen wurden. Auf gewisse Weise machte das König Hiskija zum Bruder Grimm seiner Zeit, nur dass er Sprichworte sammelte und keine Märchen. Diese fünfte Sammlung nun ist in großen Teilen eine einzige Schimpfkanonade gegen „Toren“ und „Faule“. Eine Warnung vor ihnen reiht sich da an die andere: „Wie Schnee im Sommer und Regen zur Erntezeit, / so unpassend ist die Ehre für einen Toren“ oder: „Dem Pferd die Peitsche, dem Esel den Zaum, / dem Rücken der Tore den Stock“ oder: „Antworte dem Toren nicht, wie es seine Dummheit verdient, / damit nicht auch du ihm gleich wirst“ oder (bzw. sondern):  „Antworte dem Toren, wie es seine Dummheit verdient, / damit er sich nicht einbildet, ein Weiser zu sein!“ oder: „Schlaff wie die Schenkel des Lahmen / ist ein Weisheitsspruch im Munde der Toren“ oder: „Wie ein Hund, der zurückkehrt zu dem, was er erbrochen hat, / so ist ein Tor, der seine Dummheit wiederholt“ und noch ein halbes Dutzend weiterer solcher Sinnsprüche.

(Fortsetzung folgt…)