Dass Moses Gottes Schöpfungsarbeit mit „Wehen“ verglich, unter denen er „Erde und Erdkreis“ hervorgebracht habe, ist ein etwas unglücklicher Vergleich. Schließlich wurde der Geburtsvorgang erst als Strafe für Eva im Paradies zu etwas, das „unter Schmerzen“ ablaufen sollte. Auch die folgenden Zeilen verwundern: „Die Zeit unseres Lebens währt siebzig Jahre, wenn es hochkommt, achtzig.“ Moses selbst müsste es besser wissen, schließlich wurde er mit stolzen achtzig Jahren sogar noch Anführer einer legendären Wüstenwanderung.
In diesem vierten Buch der Psalmen kommt außerdem etwas zur Landnahme Kanaans ans Licht, das selbst für die damaligen Verhältnisse ausgesprochen grausam war. Die Israeliten fanden nicht nur gefallen an den Göttern jener Völker, die ihre Ankunft überlebt hatten, sondern übernahmen auch so manches barbarisches Ritual. Eines stach besonders hervor: „Sie brachten ihre Söhne und Töchter dar als Opfer für die Dämonen. Sie vergossen unschuldiges Blut, das Blut ihrer Söhne und Töchter, die sie den Götzen Kanaans opferten.“ Die Israeliten hatten also das Menschenopfer in seiner grausamsten Form übernommen, indem sie keine Kriegsgefangenen töteten, sondern ihre eigenen Kinder. Während die abgebrochene Opferung Isaaks durch seinen Vater Abraham in der Bibel einen prominenten Platz innehat, werden diese Kindsopferungen nur in wenigen Zeilen erwähnt.
Im fünften und letzten Buch der Psalmen hat nun auch Salomo seinen ersten Auftritt als Dichter und wieder dreht sich vieles um Gott. In mehreren Psalmen wird daran erinnert, was er alles geleistet und getan hat und zu was er fähig ist. So etwa in Psalm 108, in dem sich Gott den Feinden seines Volkes zuwendet und für diese nur Verachtung übrig hat: „Mein Waschbecken ist Moab, /Meinen Schuh werfe ich auf Edom, ich triumphiere über das Land der Philister.“ Weil das Leben leichter ist, wenn Gott einem nicht zürnt, heißt es außerdem: „Besser, sich zu bergen beim HERRN als zu vertrauen auf Menschen. Besser, sich zu bergen beim HERRN, als zu vertrauen auf Fürsten.“ Wobei ein weiterer Psalm darauf verweist, dass nicht nur Feinde Gottes ein Problem mit ihm und seinen Getreuen bekommen, sondern auch deren Nachkommen, denn: „Seine Nachkommen soll man vernichten, im nächsten Geschlecht schon erlösche ihr Name.“ Dass eine solche Bestrafung Dritter an anderen Stellen der Bibel von Gott selbst verboten wird, scheint niemanden so wirklich zu stören – ihn selbst eingeschlossen.
König Davids vergebliche Suche nach Bescheidenheit
König David nennt die Zeit vor der eigenen Zeugung einen „gestaltlosen“ Zustand und bedankt sich ohne falsche Bescheidenheit dafür, dass Gott ihn „so staunenswert und wunderbar gestaltet“ habe. An einer anderen Stelle versucht er das Bittgebet auf eine symbolische Ebene zu verschieben, denn: „Mein Bittgebet sei ein Räucheropfer vor deinem Angesicht, ein Abendopfer das Erheben meiner Hände.“ Da der HERR wiederholt betonte, wie viel ihm der Duft nach Opfertieren bedeutet, dürfte ihn diese rein semantische Opferung wohl nicht auf die gleiche Weise zufriedenstellen. Es wird auch nicht erwähnt, dass der HERR diesem Vorschlag zugestimmt hat.
Der Psalm mit der überraschendsten Wendung ist jedoch der vorletzte mit dem Titel „Das neue Lied von der Königsherrschaft Gottes durch Israel“. Er beginnt noch sehr harmlos mit: „Halleluja! Singt dem HERRN ein neues Lied, seinem Lob in der Versammlung der Frommen! Israel soll sich freuen über seinen Schöpfer, die Kinder Zions sollen jubeln über ihren König.“ Doch dann kippt die Stimmung schlagartig und was davor wie ein Festival der Liebe klang, hört sich plötzlich wie ein Aufruf zum Heiligen Krieg an: „In Herrlichkeit sollen die Frommen frohlocken. Sie sollen jauchzen auf ihren Lagern. Hochgesänge auf Gott in ihrer Kehle, ein zweischneidiges Schwert in ihren Händen, um unter den Nationen Vergeltung zu üben. Strafgericht bei den Völkern, um ihre Könige mit Fesseln zu binden, ihre Fürsten mit eisernen Ketten, um Gericht über sie zu halten, wie geschrieben steht. Lichtglanz ist das all seinen Frommen. Halleluja.“ Danach endet das Buch der Psalmen mit dem „großen Halleluja“ und Psalm 150, dessen letzte Worte lautet: „Alles, was atmet, lobe den HERRN – Halleluja!“
(Fortsetzung folgt…)