Wie vielen Menschen ist es je passiert, dass sie miteinander über Gott diskutieren und er plötzlich selbst das Wort ergreift? Er kam als Wettersturm hinzu und schon seine ersten Worte verrieten Hiob, dass seine dunklen Tage nun noch ein wenig dunkler werden. Gott war wütend auf ihn: „Auf, gürte deine Lenden wie ein Mann: / Ich will dich fragen, du belehre mich!“ Niemand will, dass der HERR in einem so aggressiven Ton mit einem spricht. Vor allem nicht, wenn man gerade ohnehin alles verloren hat und sich vielleicht einfach nur etwas Verständnis wünscht.

Gott versuchte jetzt jedenfalls Hiob mit einer ganzen Reihe rhetorischer Fragen zu überwältigen: „Wo warst du, als ich die Erde gegründet? / Sag es denn, wenn du Bescheid weißt! Wer setzte ihre Maße? Du weißt es ja. / Wer hat die Messschnur über sie gespannt? Wohin sind ihre Pfeiler eingesenkt? / Oder wer hat ihren Eckstein gelegt, als alle Morgensterne jauchzten, / als jubelten alle Gottessöhne?“ So ging es eine schier endlose Liste von Dingen lang weiter, die Gott getan hatte und nur Gott tun konnte.

Diese Aufzählung klang beeindruckend und sollte Hiob einschüchtern, hatte allerdings einen Makel. Hiob hatte nie behauptet, irgendetwas mit der Erschaffung der Welt zu tun zu haben. Er wollte nur gerne wissen, warum seine zehn Kinder tot sind, sein Reichtum dahin ist und seine Gesundheit noch dazu. Dass Gott die Gottessöhne erwähnte, deutet immerhin schon in die Richtung, in der die Antwort zu finden wäre. Doch erst einmal behält der HERR seine bewährte Strategie bei und begräbt Hiob unter weiteren Fragen, die allesamt zeigen sollen, wie unbedeutend er ist und wie allmächtig Gott.

Gott wirft Hiob Dinge vor, die Hiob nie behauptet hat

Der HERR wirkte dabei erstaunlich gereizt, zumal er Hiob hier von etwas überzeugen wollte, was dieser fromme Mann niemals angezweifelt hatte. Eine kleine Auswahl der Suggestivfragen, mit denen Hiob aus dem Wettersturm heraus konfrontiert wurde, lauten:

„Bist du zu den Quellen des Meeres gekommen, / hast du des Urgrunds Tiefe durchwandert?“

„Haben sich dir die Tore des Todes geöffnet, / hast du die Tore des Todesschattens geschaut?“

„Wo ist der Weg zur Wohnstatt des Lichts?“

„Wer grub der Regenflut eine Rinne?“

„Hat der Regen einen Vater / oder wer zeugte die Tropfen des Taus?“

„Aus wessen Schoß ging das Eis hervor, / des Himmels Reif, wer hat ihn geboren?“

„Knüpfst du die Bande des Siebengestirns / oder löst du des Orions Fesseln?“

„Kennst du die Satzungen des Himmels, / setzt du auf der Erde seine Herrschaft durch?“ „Entsendest du die Blitze, dass sie eilen / und dir sagen: Wir sind da?“

Daneben gab es unter anderem auch Fragen, für die sehr genaues Wissen über die Eigenheiten verschiedener Tierarten nötig wären. Zum Beispiel:

„Kennst du der Steinböcke Wurfzeiten, / überwachst du das Werfen der Hirsche“

„Fröhlich schlägt die Straßenhenne mit den Flügeln, / Ist ihre Schwinge so / wie die des Storches und Falken?“

„Fliegt auf dein Geheiß der Geier empor / und baut seinen Horst in der Höhe?“

Als Gott endlich mit seiner Rede aufhörte, wirkte sie in ihrer Länge so, als ob er unabhängig von diesem Streit die Gelegenheit nutzen wollte, um einmal auf seine diversen Aufgaben hinzuweisen. Gleichzeitig war ein persönlicher Groll auf Hiob nicht zu überhören, wenn er bezüglich seiner Fragen spottete „Du weißt es ja: du wurdest damals ja geboren“ und mit den einschüchternden Worten endete: „Wer Gott anklagt, der antworte nun!“ Dabei hatte Hiob in keiner dieser vielen Fragen einen Anspruch auf Expertentum angemeldet und schon gar nicht Gottes Rolle in diesen Angelegenheiten angezweifelt.

Was ihn interessierte, war auch nicht, wann die Steinböcke Junge bekommen, sondern warum sein Leben von einem Augenblick auf den anderen in Trümmer lag. In der Rede des HERRN ging es jedenfalls um alles, nur nicht um die tatsächliche Tragödie dieses einen Menschen. Nun wartete aber der zornige Wettersturm auf eine Antwort von Hiob.

(Fortsetzung folgt…)