Damit brachte er ein neues Instrument in die Debatte ein: Die Behauptung, dass Gott womöglich Antworten gibt, aber Hiob sie nicht zu deuten vermag. Da Hiobs Selbstbewusstsein vor allem auf seinem tiefen Glauben beruhte, war das ein besonders perfider Angriff. Aber nichts anderes sollte man von Elihus erwarten, der Unfreundlichkeit offenbar für eine Tugend hielt: „Denn ich verstehe mich nicht aufs Schmeicheln.“ Schließlich rief er im selbstgerechten Triumphton aus: „Hast Worte du bereit, entgegne mir! / Sprich nur; denn gerne gebe ich dir recht. Wenn aber nicht, hör du mich an! / Schweig still, damit ich dich Weisheit lehre!“

Womöglich war es Hiob zu diesem Zeitpunkt leid, sich gegen die immer gleichen böswilligen Unterstellungen zu verteidigen, an denen sich immer nur die Person änderte, die sie aussprach. Oder er konnte schlicht nicht fassen, mit welcher Arroganz hier jemand sprach, der sich mit der Feststellung in die Runde einfand: „Noch bin ich jung an Jahren, / doch ihr seid hochbetagt“ und nachschob, „nicht viele sind weise / noch Greise stets des Rechten kundig.“

Ganz offenbar war diese Bemerkung auf alle Anwesenden gemünzt und da Hiob einfach schwieg, setzte der junge Elihus seine Ankündigung in die Tat um und „lehrte“ Hiob Weisheit, die aus nicht mehr als einer heftigen Verurteilung Hiobs bestand, dem er übelnahm, auf seine Unschuld zu bestehen. „Darum hört mir zu, ihr Männer mit Verstand!“, wendete er sich entweder an die drei verstummten Freunde oder ein imaginäres Publikum, was bei seinem Sendungsbewusstsein auch möglich wäre: „Fern ist es Gott, Unrecht zu tun! Nein, wahrhaftig, nie tut Gott Unrecht / und der Allmächtige beugt nicht das Recht.“

Alte Vorwürfe, von einem neuen Redner vorgetragen

Nun, Gott ließ sich immerhin auf eine Wette mit Satan ein, der schon zehn Menschen zum Opfer gefallen waren und wegen der ein Mann entstellt, einsam und verzweifelt seinem Ende entgegenhoffte. Vielleicht würde so manchem Menschen dafür doch das Wort Unrecht in den Sinn kommen. Würde ein König einen Untertan so quälen, weil er mit einem Prinzen eine Wette abgeschlossen hat, würde das jedenfalls Zweifel an seinem Charakter wecken.

Elihus zweifelte ebenfalls an einem Charakter, nämlich dem von Hiob und warf ihm vor: „Ohne Wissen redet Hiob, / seinen Worten fehlt es an Verständnis!“ Gut möglich, dass Hiob sich plötzlich wünschte, weiterhin nur von seinen drei Freunden mit Vorwürfen überzogen zu werden. Er schwieg weiter, weswegen Elihus mit seinen Verurteilungen fortfuhr.  Allerdings begann auch er sich in seinen Anklagen jetzt zu wiederholen und konnte nur da sein Niveau unterbieten, wo er Hiob Worte in den Mund legte, die er so nie gesagt hatte. Hiob halte sich für gerechter als Gott, behauptete Elihus etwa, außerdem warf er ihm vor, „sinnlos seinen Mund aufzureißen“ und „große Worte im Unverstand“ zu sprechen.

Vielleicht lag es daran, dass Elihus das Schweigen der Anderen für Zustimmung hielt, jedenfalls stieg ihm sein Redeerfolg nun so zu Kopf, dass er Hiob gegenüber klarstellte: „Ein Mann vollkommenen Wissens steht vor dir!“ Wenn Hiob jedoch dachte, dass diese Runde voller abweisender Freunde und eines selbstgerechten Jünglings, den niemand eingeladen hatte, nicht noch ungewöhnlicher werden könnte, hatte er sich gründlich geirrt. Nun mischte sich noch jemand ein, dessen Meinung nicht unerheblich sein dürfte: Gott.

(Fortsetzung folgt…)