Bildads gelang nun das Kunststück, überhaupt nicht mehr auf Hiob zu antworten, sondern nur noch abstrakt davon zu sprechen, dass in Gottes Augen nicht mal die Sterne rein sind und „der Menschensohn, der Wurm“ schon gar nicht
Hiob reizte das zu einer ausschweifenden Erwiderung und bestand weiter darauf, unschuldig zu sein: „Fern sei es mir, euch Recht zu geben, / ich gebe bis ich sterbe meine Unschuld nicht preis“. Danach fragt er noch, wo die Weisheit herkommt und woher die Einsicht, nur um kurz darauf seine eigene Vermutung dazu mitzuteilen: „Sieh, die Furcht des Herrn, das ist Weisheit, / das Meiden des Bösen ist Einsicht.“ Da seinen Gästen offenbar nichts zu diesen Überlegungen einfiel, schwiegen sie und Hiob ging zu seiner Schlussrede über. Für diese schwelgte er zunächst in Erinnerungen an „längst vergangene Monde / wie in den Tagen, da mich Gott beschirmte.“
Er dachte an jene Tage zurück, „als Gottes Freundschaft über meine Zelte stand“ und „meine Kinder mich umgaben“. Er muss ein wirklich gutes Leben geführt haben, geliebt und verehrt, noch dazu mit Wohlstand, einer großen Familie und unerschütterlichem Gottvertrauen gesegnet: „Ging ich durchs Tor zur Stadt hinauf, / ließe ich auf dem Platz meinen Sitz aufstellen; sahen mich die Jungen, so traten sie scheu beiseite, / die Alten standen auf und blieben stehen.“ Sogar die Mächtigsten erwiesen ihm Respekt, denn „Fürsten hielten mit Reden sich zurück“ wenn sie ihn erblickten und auch der „Edlen Stimme blieb stumm, / am Gaumen klebte ihre Zunge.“
Als die Freunde endlich schweigen, poltert ein Unbekannter los
Seine Erinnerungen zeigen auch, dass zu seinen vielen Tugenden eine nicht zählte: Bescheidenheit. Stolz zählte er auf, was er alles für andere getan hatte. „Denn ich rettete den Armen, der schrie, / die Waise, die ohne Helfer war“, zudem war er laut eigener Angaben „Auge für den Blinden“ und „Fuß für die Lahmen“ und in dieser Art geht es noch eine ganze Weile weiter. „Vater war ich für die Armen, / des Unbekannten Rechtsstreit prüfte ich. Ich zerschmetterte des Bösen Kiefer, / entriss die Beute seinen Zähnen“, bevor er schließlich zur entrücktesten Selbstbeschreibung übergeht: „Ich bestimmte ihr Tun, ich saß als Haupt, / thronte, wie ein König inmitten der Schar, wie einer, der Trauernde tröstet.“ Wenn man von ihm hört, mit wie viel Anerkennung und Bestätigung er durchs Leben gegangen war, ist der Fall aus diesen Höhen noch dramatischer.
Und damit wendet sich seine süße Erinnerung der düsteren Gegenwart zu: „Jetzt aber bin ich ihr Spottlied, / bin zum Klatsch für sie geworden“, klagte er und bezog sich damit nicht nur auf die Jungen, sondern auf die gesamte Gesellschaft, die ihn zuvor noch hofiert hatte. Darum rief er bitter aus: „Verjagt wie vom Wind ist mein Ansehen, / wie eine Wolke entschwand mein Heil.“ Außerdem stellte er fest, dass Gott ihn strafte, ohne eine Begründung zu liefern: „Ich schreie zu dir und du antwortest mir nicht; / ich stehe da, doch du achtest nicht auf mich.“ Vielleicht war dieses Schweigen sogar besser, als wenn Gott seinem verzweifelten Hiob erklären würde, dass sein Leiden keinem tieferen Sinn folgt, weil er schlicht Opfer einer Wette zweier übermenschlicher Wesen geworden war.
Hiobs Freunde schwiegen zu alldem und es scheint insgesamt so zu sein, dass das Gespräch an einem toten Punkt angekommen ist. Als es darum schon den Eindruck macht, als würden sich die schwierigen Gäste womöglich bald auf den Weg machen, passiert etwas Überraschendes. Plötzlich ergreift ein junger Mann das Wort, bei dem nicht klar ist, wo er eigentlich herkommt. Hatte er die ganze Zeit bei den vier Männern gesessen – also auch die sieben stummen Tage hindurch – oder kam er zufällig an diesem Treffen vorbei und hörte zu und wollte sich nun einmischen? Er fängt jedenfalls ohne jede Hemmung an zu sprechen und fragt auch nicht, ob das erwünscht ist oder nicht.
Er ist dabei sehr aufgebracht und lässt von der ersten Sekunde an keinen Zweifel daran, warum er es ist: Weil die drei Freunde Hiobs Integrität und seinen Charakter nicht noch mehr in Frage gestellt hatten. Offenbar empfand Elihus, so hieß der Neue in der Runde, es als seine Pflicht, in diese Richtung nachzulegen. Darum kondolierte er Hiob auch nicht zu seinen schweren Verlusten, sondern warf ihm Überheblichkeit vor und außerdem die Unfähigkeit, Gottes Wort überhaupt zu vernehmen.
(Fortsetzung folgt…)