Eigentlich entwickelt sich das alles immer mehr zu einem Duell, bei dem sich beide Seiten Vorwürfe machten, wobei Hiob deutlich mehr Recht darauf hatte, gekränkt zu sein. „Zum zehnten Mal schon schmäht ihr mich / und schämt euch nicht, mich zu beleidigen“, wirft er seinen Freunden vor und versucht erneut zu erklären, wie er die Sache sieht: „Erkennt doch, dass Gott mich niederdrückt, / da er sein Netz rings um mich warf.“ Danach zählt Hiob auf, wie viele Zurückweisungen, Kränkungen, Gehässigkeiten und fehlende Anteilnahme er ertragen musste, seit ihm sein Unglück widerfahren ist. Seine Verwandten und Bekannten hätten sich zurückgezogen, seine Frau sei von ihm angewidert und sein Knecht verweigere die Arbeit. Ja sogar „Unmündige verachten mich, / steh ich auf, verhöhnen sich mich.“ Damit wollte er vermutlich seinen Gästen klarmachen, dass es ihm wirklich sehr schlecht geht. Doch erneut gelingt es seinen Gästen nicht, ihn aufzubauen. Vielleicht auch, weil sie es nicht eine Sekunde versucht haben. Stattdessen setzten sie ihre Attacken unbekümmert fort.

Wobei Zofar als erstes betont, wie sehr ihn die Worte Hiobs aufgewühlt haben, die er für ungerecht hält, bevor er mitteilt: „Um des Frevlers Bauch zu füllen, / lässt Gott auf ihn die Gluten seines Zorns los, / lässt auf ihn regnen seine Schläge.“ Womit er wieder auf Hiob anspielt, der Zofar offenbar nicht von seiner Unschuld überzeugen konnte. Hiob selbst scheint diese Ignoranz kaum noch zu ertragen und fleht nun beinahe: „hört doch auf mein Wort, / das wäre mir schon Trost von euch.“ Es ist wirklich nicht viel, was er da verlangt und was er trotzdem nicht bekommt. Zugleich steigert er sich selbst zunehmend in die ganz großen Fragen des Lebens hinein. Warum haben die einen Glück und die anderen Pech und warum sind die Glücklichen nicht immer die Frommen und die Unglücklichen nicht immer die Frevler? Ja, warum sind es umgekehrt sogar so oft Frevler, die auf der Sonnenseite des Lebens stehen? „Warum bleiben Frevler am Leben, / werden alt und stark an Kraft? Ihre Häuser sind in Frieden, ohne Schreck, / die Rute Gottes trifft sie nicht? Sie bringen hin ihre Tage im Glück / und fahren voll Ruhe hinab ins Totenreich.“

Hat Satan diese Freunde geschickt?

Es überrascht nicht, dass ein so gebeutelter wie Hiob sich Gedanken über die tiefere Gerechtigkeit des Lebens macht, nachdem er aus heiterem Himmel so brutal gequält wurde und eben keiner der Frevler, die es doch eigentlich viel eher verdient hätten. Sein tiefes Leid gebiert jedoch auch eine unerwartete philosophische Tiefe, wenn er festhält: „Der eine stirbt im vollen Glück, / ist ganz in Frieden sorgenfrei. Der andere stirbt mit bitterer Seele / und hat kein Glück genossen“, bevor er seine Erkenntnis nachschiebt, dass letztlich im Tode alle gleich sind, denn: „Zusammen liegen sie im Staub / und Gewürm deckt beide zu.“ Dass er sich selbst der Person mit „bitterer Seele“ zurechnen würde, dürfte außer Frage stehen, wobei seine Freunde auch alles dafür taten, dass diese noch bitterer wird.

In der nun schon gewohnten Gehässigkeit wird Hiob seine angebliche „Bosheit“ vorgehalten und sein Verschulden, das „ohne Ende“ sei, wobei es sich Elfias nicht nehmen ließ, dieses „ohne Ende“ genauer auszuführen. „Den Durstigen tränkst du nicht mit Wasser, / dem Hungernden versagst du das Brot. Witwen hast du weggeschickt mit leeren Händen, / der Verwaisten Arme zerschlagen“ oder auch: „Du pfändest ohne Grund deine Brüder, / ziehst Nackten ihre Kleider aus“. Auch wenn nicht klar ist, wie Hiob ganz praktisch einem Nackten seine Kleider stehlen will, ist diese Liste der bisherige Tiefpunkt an Niedertracht, die ihm von seinen Freunden gegen den Kopf geworfen wird. Von Freunden übrigens, bei denen sich so langsam die Frage stellt, ob sie vielleicht von Satan angeheuert wurden, damit er seine düstere Wette gewinnt.

Vielleicht ist es die schiere Menge an Unterstellungen, die Hiob dazu bringen, sie vollständig zu ignorieren, weil eine Klarstellung für jeden einzelnen dieser Fälle einfach zu mühselig und wohl auch nicht der Mühe wert gewesen wäre. Darum beschränkte er sich darauf, weiterhin auf seine Unschuld zu bestehen, die er nur zu gerne vor Gott selbst beweisen wollte. „Wüsste ich doch, wie ich ihn finden könnte, / gelangen könnte zu seiner Stätte. Ich wollte vor ihm den Rechtsfall ausbreiten, / meinen Mund mit Beweisen füllen.“ Auch trieb ihn dabei die berechtigte Erwartung um: „Ich möchte wissen, mit welchen Worten er mir Antwort gibt, / möchte erfahren, was er mir zu sagen hat.“ Wer würde nicht gerne von seinem Gott erfahren, warum er einem soeben unter anderem alle Kinder hat sterben lassen, obwohl man selbst immer einer der besonders Frommen war?

(Fortsetzung folgt…)