Auch hier lautet die Antwort: Nein. Zofar war womöglich der Ignoranteste der Gruppe, denn er warf dem völlig gebrochenen Hiob an den Kopf: „Soll dieser Wortschwall ohne Antwort bleiben?“, bevor er eine besonders bösartige Bemerkung fallen ließ. In Hinblick auf Hiobs Hoffnung, Gott möge ihm doch wenigsten mitteilen, warum er so sehr leiden muss, lässt er ihn wissen: „Du würdest erkennen, dass Gott von deiner Schuld noch manches übersieht.“ Hiob sollte also froh sein, dass es nicht zur Aussprache kommt, zumal es ihn auch noch viel schlimmer hätte treffen können, als an einem Tag alle Kinder und seinen Reichtum zu verlieren, nur um kurz darauf von Geschwüren am ganzen Körper befallen zu werden. Womöglich hatte Hiob die schlechtesten Freunde, die je ein Mensch hatte, und es kann sein, dass ihm das so langsam auch selbst auffiel. Er wehrte sich jetzt nämlich zum ersten Mal heftig gegen die Worte seiner Gäste.
Woher sie denn wissen wollen, dass Gott noch viel mehr seiner Sünden benennen könnte, wenn er wollte? Selbst in seinem desolaten Zustand war ihm sein Selbstvertrauen als tadellos frommer Mensch geblieben: „Seht, ich bringe den Rechtsfall vor; / ich weiß, ich bin im Recht“, verkündete er darum und stellt fatalistisch fest: „Er mag mich töten, ich harre auf ihn; / doch meine Wege verteidige ich vor ihm.“ Was aber seine Freunde anging, wird er aggressiver, da er ihre Unterstellungen nicht mehr erträgt. Darum lässt er sie wissen: „Ihr aber seid nur Lügentüncher“, bevor er sie mit dem Ratschlag beleidigt, „dass ihr endlich schweigen wollet; / das würde Weisheit für euch sein!“ Schließlich geht er vollends zum Gegenangriff über und räumt mit der Selbstgerechtigkeit seiner ungewöhnlichen Freunde auf: „Ginge es gut, wenn er euch durchforschte?“ Brechen die Gäste nun empört auf? Nein, sie antworten auf Hiobs Worte, wobei sie wieder reihum an der Reihe sind.
Alle Freunde Hiobs gegen Hiob
Die Schuldzuweisungen und persönlichen Angriffe gingen dabei munter weiter. Allerdings bekamen sie nun eine noch persönlichere Note, wie Elifas beweist: „Dein eigener Mund verurteilt dich, nicht ich, / deine Lippen zeugen gegen dich“, heißt es, während dem Trauernden auch Überheblichkeit vorgehalten wird („Bist du als erster Mensch geboren, / kamst du zur Welt noch vor den Hügeln?“), und Elifas mit einer etwas unklaren Bemerkung endet, die ebenfalls nicht aufmunternd gemeint war: „Unfruchtbar ist der Ruchlosen Rotte / und Feuer verzehrt die Zelte der Bestechung.“ Mittlerweile war die Situation in offenen Streit übergegangen und Hiob hielt mit seiner Enttäuschung über seine Gäste nicht mehr hinter dem Berg. „Auch ich könnte reden wie ihr, / wenn ihr an meiner Stelle wäret, / schöne Worte über euch machen / und meinen Kopf über euch schütteln“, höhnte er und ließ sich nicht in seinem Eindruck beirren, dass die Strafen Gottes gegen ihn ungerecht waren.
Er klagte: „Gott gibt mich dem Bösen preis, / in die Hände der Frevler stößt er mich. In Ruhe lebte ich, da hat er mich erschüttert, / mich im Nacken gepackt, mich zerschmettert, / mich als Zielscheibe für sich aufgestellt.“ Wie richtig diese Beschreibung war, konnte er nicht wissen. Aber im Grunde entsprach das sehr genau dem, was Gott getan hatte. Er hatte Hiob als Zielscheibe des Satans freigegeben und spielte mit ihm ein Spiel, dessen Einsatz Hiob selbst war und dessen Opfer unter anderem zehn Kinder. „Doch kein Unrecht klebt an meinen Händen“, erklärt er trotzig, während er gleichzeitig schon jede Hoffnung auf Besserung aufgegeben hat, wie diese düstere Überlegung zeigt: „Ich erhoffe nichts mehr. / Die Unterwelt wird mein Haus, / in der Finsternis breite ich mein Lager aus.“ Vielleicht hat er auch aufgrund dieser dramatischen Aussichten keine Lust mehr, sich von seinen Gästen all ihre Unterstellungen gefallen zu lassen. Was soll denn schon passieren? Dass sie ihm die Freundschaft aufkündigen? Vermutlich wäre das ein Glücksfall für ihn, denn andere haben bösartige Feinde als er Freunde hat.
Vielleicht ist das Erstaunlichste an diesen Gästen, dass sie ernsthaft erstaunt über Hiobs abwehrende Reaktion auf ihre Vorwürfe waren. Hatten sie ehrlich gedacht, dass er sie ruhig anhört und sich am Ende noch dafür bedankt? Diese Vorstellung ist umso absurder, da sich seine Freunde umgekehrt nicht in einer absoluten Ausnahmesituation befanden und trotzdem sehr empfindlich auf Hiobs Gegenangriffe reagierten. So fragt Bildad empört und verletzt: „Warum sind wir wie Vieh geachtet, / gelten als unrein in euren Augen?“ Auch mit solchen Unterstellungen sollte man jemanden nicht belästigen, der ertragen muss, was Hiob ertragen hat. Danach ergeht sich der Freund noch in ausschweifenden Beschreibungen darüber, was für ein Schicksal auf Frevler wartet, wobei nicht schwer zu erraten ist, auf wen er da anspielt, wenn es heißt: „Hungrig nach ihm ist sein Unheil, / das Verderben steht bereit zu seinem Sturz. Er frisst die Glieder seines Leibes, / seine Glieder frisst des Todes Erstgeborener.“ Gute Freunde sind eben das Wichtigste auf der Welt.
(Fortsetzung folgt…)