Wenn man sich Artaxerxes Agieren in dieser ganzen Angelegenheit anschaut, kann man sich nur wundern, wie ein offenbar so überforderter und widersprüchlicher Mann ein solches Reich regieren konnte. Ester bat ihn nämlich, einen „Gegen-Erlass“ herauszugeben, der den Vernichtungs-Erlass gegen die Juden aufhebt. Der König stimmte sofort zu und betonte, dass er Haman habe aufhängen lassen, „weil er seine Hand gegen die Juden erhoben“ habe. Dass er selbst diese Vernichtungsabsicht begeistert unterstützt hatte, verschwieg er oder hatte es womöglich verdrängt, was fast noch verstörender wäre. Nun jedenfalls war er ganz auf der Seite seiner Gemahlin und ließ sie und Mordechai den Gegen-Erlass verfassen.

Diese nutzten die Gelegenheit, um mit den Feinden der Juden abzurechnen. Als erstes wurde das falsche Bild korrigiert, dass die Menschen von Haman hatten. Immerhin lautete sein Spitzname unter den Völkern „unser Vater“, was zeigt, wie sehr er verehrt wurde. Aus dem „Vater“ wurde der „Erzschurke“, über dessen Schicksal außerdem mitgeteilt wird, dass er gekreuzigt wurde. Wenn das stimmt, muss der Leichnam vom Galgen geholt worden sein, um ihn noch mal ans Kreuz zu schlagen. Das wäre wiederum eine schlechte Nachricht für seine Frau, denn es heißt weiter, er sei „mit seiner ganzen Familie“ gekreuzigt worden. An dieser Stelle bleiben einige Unstimmigkeiten zurück, denn mindestens die zehn Söhne von Haman wurden nicht gekreuzigt, da sie stattdessen – um hier den Ereignissen um wenige Tage vorzugreifen – von den Juden getötet wurden.

Ester und Mordechai nutzten den Erlass auch dazu, sich selbst in ein gutes Licht zu rücken. Zu Mordechai heißt es, er sei „Retter und steter Wohltäter“, während Ester die „untadelige Mitinhaberin der Königswürden“ ist. Auf die Spitze trieben sie es aber, als sie ihren HERRN als „höchsten, größten und lebendigen Gott“ bezeichneten, der das persische Reich „in der schönsten Ordnung erhält“. Was für eine Wendung der Ereignisse. Ebendieser Gott war im Haman-Erlass noch der Vorwand, um die Vernichtung der Juden zu rechtfertigen und nun wurde er im Gegen-Erlass über die Maße verehrt. Auf diese Weise verließ also das Schriftstück den Palast, das aus einem hart bedrängten Volk eines der angesehensten im ganzen Reich machen sollte. Diese Wendung der Geschichte sorgte tatsächlich für ein Umdenken in der Bevölkerung, denn es heißt: „In allen Völkern der Erde wandten sich viele dem Judentum zu; denn ein Schrecken vor den Juden hatte sie befallen.“ Wie berechtigt dieser Schrecken war, bekamen die Feinde der Juden bald darauf zu spüren. Haman hatte einen bestimmten Tag ausgewählt, an dem das jüdische Volk vernichtet werden sollte, doch als es jetzt so weit war, hatten sich die Machtverhältnisse komplett gewendet.

Zwei jüdische Berater für den persischen König

So wie Haman vom Mörder Mordechais selbst zum Opfer seiner Mordlust geworden war, erging es auch den anderen Judenfeinden. Anders ausgedrückt: „Es war der Tag, an dem die Gegner der Juden gehofft hatten, sie zu überwältigen. Doch nun überwältigten umgekehrt die Juden ihre Feinde.“ Und wie. Allein in Susa, der Heimatstadt von Artaxerxes und Ester, fielen fünfhundert Männer. Auf Esters Wunsch hin erlaubte der König, dass in der Hauptstadt sogar noch am darauffolgenden Tag weitergemordet werden durfte, was weitere dreihundert Judenfeinde das Leben kostete. Im Laufe dieser Rachemaßnahmen wurden schließlich auch die zehn Haman-Söhne getötet. Als der König das Ausmaß der Gewalt überblickte, fragte er Ester: „In der Burg Susa haben die Juden fünfhundert Männer getötet und vernichtet. Was haben sie dann wohl in den übrigen königlichen Provinzen getan?“ Ester wusste darauf keine Antwort, doch sie hätte gelautet: 75.000. So viele weitere Judenfeinde starben an einem einzigen Tag in den Provinzen des Reiches. Auf diese Weise wurde eine Gefahr für das jüdische Volk nicht nur abgewehrt, sondern für lange Zeit unschädlich gemacht. Davon zeugte auch der Galgen, an dem Haman baumelte oder das Kreuz (oder eben nacheinander beides), an dem er hing. Letztlich ist es egal, wie er starb, fest steht, dass sich seine völkermordenden Pläne nicht erfüllten und statt der Juden nun er und seine eifrigen Erfüllungsgehilfen tot waren.

Das auserwählte Volk hingegen stand so gut da wie lange nicht. Mit der Königin und Mordechai, der zum Nachfolger Hamans wurde, hatte Artaxerxes gleich zwei jüdische Stimmen, auf die er hörte und die eingreifen konnten, wenn ein Wiedergänger Hamans auftreten sollte. Für ein Volk, das im Exil lebte, waren das nicht die schlechten Umstände. In Erinnerung an diesen großen Sieg wurde entschieden, an jedem Jahrestag dieser militanten Selbstverteidigung gegen Judenfeinde das Purimfest zu feiern. Der Name spielt darauf an, dass im Persischen das Wort Pur für das „Los“ steht und Haman per Los das Datum ausgewählt hatte, an dem das Judentum vernichtet werden sollte.

(Fortsetzung folgt…)