Kaum hat man sich damit abgefunden, dass starke Frauenfiguren in der Bibel nicht vorkommen, tritt das Buch Judith schon im Titel an, diesen Eindruck zu widerlegen. Am Beginn ihrer Geschichte steht der große Krieg zwischen dem leicht größenwahnsinnigen assyrischen Herrscher Nebukadnezzar, der niemand geringen als sich selbst für einen Gott hält, und dem bedauerlichen Arphaxad, König der Meder. Ob er sich auch für Gott hielt, ist nicht bekannt, fest steht aber, dass beide Seiten mit ihren Verbündeten in die Schlacht zogen und Nebukadnezzar persönlich seinem Widersacher den tödlichen Speer in die Brust stieß und den Krieg damit gewann. Danach feierten seine Männer mit hundertzwanzig Tagen ein Vierteljahr lang durch, bevor alte Rechnung beglichen wurde.

Nebukadnezzar hatte nämlich nicht vergessen, dass er vor dem Krieg dutzende Boten aussendete, die von Persien aus bis Ägypten und Äthiopien kamen, und überall die Unterwerfung unter den selbsternannten Gott verlangten. Aus seiner Sicht klang das vielleicht naheliegend, sein Problem war nur, dass nicht ein einziges Königreich seine Sichtweise bezüglich der eigenen Göttlichkeit teilte. Alle Boten kamen also mit Absagen und Ablehnungen zurück. Auch jene, die in Juda unterwegs gewesen waren. Nach diesem Sieg Nebukadnezzars, der ihn zum militärischen Giganten machte, mit dem sich niemand mehr messen konnte, bereute wohl so mancher König seine verweigerte Unterwerfung, denn Nebukadnezzar hatte seine Haltung mittlerweile überdacht. Er wollte keine Unterwerfung mehr, nein „er schwor bei seinem Thron und seinem Reich“ all jene, die ihm die Gefolgschaft verweigert hatte, „mit seinem Schwert auszurotten.“

An dieser Stelle kommt sein Oberbefehlshaber Holofernes ins Spiel, der dieser Ankündigung Taten folgen lassen sollte. Er bekam hundertzwanzigtausend Mann und zwölftausend berittene Bogenschützen und von seinem Gottkönig noch folgende Worte mit auf den Weg: „Ihre Täler sollen sich mit Verwundeten füllen, jeder Bach und Fluss soll übervoll werden von Toten.“ Es dürfte niemanden überraschen, dass das Ergebnis nach dieser Ansprache (und dieser militärischen Übermacht) auch entsprechend aussah. Nachdem Holofernes seinen Feldzug mit der Plünderung mehrerer Wüstenstädte begonnen hatte, ging es erst so richtig los. Er „überschritt den Eufrat und zog durch Mesopotamien; er zerstörte alle befestigten Städte am Fluss Habor bis hin zum Meer. Er eroberte das Gebiet von Kilikien und machte alle nieder, die ihm Widerstand leisteten.“ Er hinterließ eine Schneise der Verwüstung, brannte Felder nieder, tötete Viehherden, ließ plündern und brandschatzen und „erschlug alle jungen Männer mit scharfem Schwert.“ Kurzum, Nebukadnezzar konnte zufrieden mit ihm sein.

Das Volk ist in Gefahr und eine Witwe glaubt, es retten zu können

Weil die Schreckensnachrichten noch schneller voran eilten als das Heer des Holofernes, unterwarfen sich nun doch immer mehr Königreiche und akzeptierten den Gottstatus Nebukadnezzars. Diese Reiche verschonte Holofernes, nachdem er dort alle Tempel, Haine, Altäre und Opferstellen zerstört hatte, die anderen Göttern gewidmet waren. Nach und nach wurde es zur Regel, dass sich die Völker und Könige unterwarfen, ohne Widerstand zu leisten. Und so erreichte dieser gut organisierte Rächer schließlich auch das gelobte Land, wo die Unterwerfung ausblieb. Die Israeliten hätten selbst in ihren besten Tagen unter Salomo einer solchen Streitmacht kaum standhalten können, doch heute waren sie von ihrer einstigen Größe so weit entfernt wie Nebukadnezzar von einer gesunden Psyche und so schien es ebenso erwartbar wie bitter, was die nähere Zukunft für sie zu bieten haben würde. Ihnen blieb nur, sich auf den ungleichen Kampf vorzubereiten, wobei ein beträchtlicher Teil dieser Vorbereitungen darin bestand, den HERRN anzuflehen, sie zu retten.

Erstaunt wollte Holofernes von ortskundigen Verbündeten wissen: „Warum haben sie allein von allen Bewohnern des Westens es abgelehnt, mir zu huldigen?“ Der Ammoniter-Anführer Achiot erläuterte daraufhin recht ausführlich, wer die Israeliten sind und dass sie an den einen Gott glauben und ahnte dabei vermutlich nicht, dass diese Rede sein Leben radikal verändern würde. Als er geendet hatte, wollten ihn die Soldaten am liebsten töten und Holofernes warf ihm Gotteslästerung vor, weil er vom HERRN gesprochen hatte, obwohl es doch nur einen Gott gab. „Wer ist Gott, außer Nebukadnezzar“, fragte Holofernes rhetorisch, bevor er ihn fesseln ließ und vor einer israelitischen Siedlung zurückließ. Die Einwohner töteten ihn jedoch nicht, sondern nahmen ihn auf und schließlich endete die Sache so, dass er sich selbst beschnitt und einer von ihnen wurde. Doch davor musste es erst noch ein göttliches Eingreifen geben, das ihn von diesem Übertritt überzeugte. Und damit kommt Judit ins Spiel.

Die Lage für die Israeliten hatte sich nämlich noch weiter verschlechtert und stellte sie vor eine brutale Entscheidung: entweder kämpfen oder verdursten. Holofernes hatte nämlich die Wasserstellen besetzen lassen, mit denen die zumeist in den Bergen gelegenen Siedlungen versorgt wurden. Die Anführer der Israeliten versuchten das verzweifelte Volk zu beruhigen, das schon laut darüber nachdachte, sich lieber in die Gewalt des Holofernes zu begeben, statt in seinen Häusern elendig zu sterben. Also wurde von einem Propheten eine letzte Frist von fünf Tagen genannt, die man noch durchhalten sollte. Wenn Gott bis dahin immer noch nicht auf ihrer Seite in das Geschehen eingreifen würde, müsste man wohl den bitteren Weg in die Gefangenschaft und Sklaverei oder sogar Hinrichtung gehen. Judit, eine sehr schöne Frau und frühe Witwe, hörte das und tobte. Was der Prophet, er hieß Usijas, da getan hatte, hielt sie für eine Anmaßung. Man dürfte Gott nicht in eine Situation bringen, in der ein ganz bestimmtes Verhalten von ihm erwartet wird, stellte sie klar. Nur um kurz darauf zu verkünden, dass sie nun die Rettung der Israeliten übernehmen werde und der HERR sich bestimmt „durch meine Hand um Israel kümmern“ werde.

Dass sie Gott damit in genau die Situation brachte, die sie zuvor kritisiert hatte, schien sie nicht zu stören. So wie sie ohnehin ein beachtliches Selbstbewusstsein mitbrachte und feststellte, dass über ihre Rettungstat sicherlich „noch in fernsten Zeiten den Kindern unseres Volkes erzählt wird.“ Daraufhin bereitete sie sich auf ihren Einsatz vor, indem sie sich mit wohlriechenden Salben einrieb, ein Festkleid anlegte und sich auch ansonsten Mühe gab, als ungewöhnlich attraktive Frau aufzufallen. Dass ihr das gelungen war, zeigten schon die Reaktionen der Israeliten, die sie vor ihrem Feindbesuch noch sahen und „aus dem Staunen über ihre Schönheit nicht mehr herauskamen.“ Mit einer Dienerin zusammen eilte sie aus der Stadt und direkt in die Hände des erstbesten assyrischen Vorpostens. Dort gab sie sich als Überläuferin aus, die Holofernes mitteilen will, wie er über die Israeliten siegen könne, „ohne, dass dabei einer seiner Leute Leib und Leben verliert.“ Die Soldaten, von ihrer Schönheit beeindruckt, brachten sie ins Feldlager der Assyrer, wo ihr Aussehen ebenfalls Aufsehen erregte. Auch bei Holofernes selbst, für den sie sich all diese Mühe gemacht hatte.

Holofernes ist zu betrunken für die erhoffte Liebesnacht und verliert stattdessen seinen Kopf

Sie trat in sein Zelt und wusste nicht optisch zu überzeugen, sondern auch mit den passenden schmeichelnden Worten, als sie über Holofernes und Gottkaiser Nebukadnezzar säuselte: „Du machst ihm nicht nur die Menschen untertan; auch die wilden Tiere, das Vieh und die Vögel werden dank deiner Tatkraft unter der Herrschaft Nebukadnezzars und seines ganzen Hauses leben.“ Holofernes nahm diese Komplimente gerne an und war ohnehin sehr zufrieden. Eine attraktive Frau machte ihm Komplimente und zusätzlich war sie eine Überläuferin, die ihnen den Kampf gegen die Israeliten leichter machen würde. Judit erklärte, dass die Israeliten selbst ihr Grab geschaufelt hätten, da sie nicht die Gebote ihres HERRN befolgen würden. Die Frage wäre nur noch, wann der HERR sich von seinem Volk abwendet, denn sobald es so weit sei, könnten die Assyrer mit Leichtigkeit die israelitischen Städte erobern. Ihre Aufgabe sehe sie nun darin, fuhr Judit fort, jede Nacht außerhalb des Lagers in einer Schlucht zu beten, bis sie vom HERRN erfährt, dass er das sündige Volk an seine Feinde ausliefert. Also an die Assyrer, also an Holofernes, also an Nebukadnezar. Offenbar hatte Judit Eindruck gemacht, denn nachdem sie ihre Flucht und ihre künftige Rolle als Verräterin erläuterte, heißt es: „Ihre Worte gefielen Holofernes und seinem ganzen Gefolge. Sie staunten über die Weisheit und sagten: Es gibt von einem Ende der Erde bis zum anderen keine zweite Frau, die so bezaubernd aussieht und so verständig reden kann.“

Judit erhielt ein eigenes Zelt und die Bewegungsfreiheit, die sie brauchte, um jede Nacht in die Schlucht zu gehen und zu beten. Sie erweckte kein Aufsehen – von ihrer Schönheit natürlich abgesehen – und ging immer in der Dunkelheit davon, um angeblich den HERRN zu befragen. In Holofernes wiederum wuchs mit jedem weiteren Tag das Verlangen nach ihr und so lud er sie schließlich zu einem Fest ein. Er wurde „ihretwegen immer fröhlicher und trank so viel Wein, wie er noch nie zuvor in seinem Leben an einem einzigen Tag getrunken hatte.“ Als es spät wurde, verließen nach und nach immer mehr Gäste die Feier, bevor der Letzte dezent das Zelt von außen verschloss, indem sich jetzt nur noch der Feldherr und die angebliche Überläuferin befanden. Holofernes hatte nun, was er wollte. Nur er und die schöne Israelitin allein in seinem Schlafgemach. Und was tat er, um diese Situation zu nutzen? Nichts. Genaugenommen war er „vom Wein übermannt, vornüber auf sein Lager gesunken.“ Er war einfach zu betrunken, um in dieser Nacht noch irgendwas zu machen. Wobei er schließlich doch noch etwas tat, auch wenn er dazu wenig beitrug: er starb. Judit hatte nämlich die Gelegenheit genutzt und sich sein Schwert gegriffen. Sie betete noch: „Mach mich stark, Herr, du Gott Israels, am heutigen Tag!“ und wurde von Gott mit Einschränkung erhört. Mit Einschränkung, weil sie letztlich zwei Hiebe mit dem Schwert brauchte, bevor der Kopf und der Körper des betrunkenen Holofernes endlich voneinander getrennt waren.

Danach ging sie durch das Lager hindurch und tat so, als wäre sie wieder auf dem Weg zur Schlucht, während die Dienerin an ihrer Seite den Kopf des Holofernes in ein Tuch eingewickelt hatte und aus dem Lager schmuggelte. Doch dieses Mal durchquerten sie die Schlucht und eilten zurück zu den Israeliten, wo sie begeistert empfangen wurde. Der Jubel kannte keine Grenzen mehr, als Judit schließlich den abgeschlagenen Kopf des Mannes in die Höhe hielt, vor dem sie alle so lange gezittert hatten. Judit, die sich des Frauenbilds ihrer Zeit sehr wohl bewusst war, ließ auch die Gelegenheit nicht aus, ein als besonders demütigend empfundenen Aspekt ihres Attentats zu betonen: „Der Herr hat ihn durch die Hand einer Frau erschlagen.“

Nun zeigte sich, dass Judit nicht nur schön, kaltblütig und selbstbewusst war, sondern auch eine raffinierte Strategin. Ihr Schlachtplan sah vor, dass die Israeliten einen Scheinausbruch  aus der Belagerung wagen, damit die Vorposten der Assyrer im Feldlager Bescheid geben und auf diese Weise möglichst bald bekannt wird, dass an der Spitze des assyrischen Streitmacht nur noch ein kopfloser Leichnam steht. Tatsächlich führten die Israeliten ihren Scheinausbruch durch, was die Vorposten ihren Anführern meldeten, die wiederum zu den Obersten und Offizieren eilten, die sich wiederum siegessicher vor dem Zelt des Holofernes einfanden, wo sein Diener in die Hände klatschte, um Holofernes und Judit nicht in einer delikaten Situation zu überraschen. Als niemand antwortete, trat der Diener ein und sah den Toten. Einem schrecklichen Verdacht folgend, eilte er zum Zelt Judits, das er leer vorfand. Daraufhin tat er etwas, was man in so einer Situation möglichst nicht machen sollte. Er verlor die Nerven und schrie im Lager herum: „Eine einzelne Frau der Hebräer hat Schande über das ganze Haus Nebukadnezzar gebracht. Seht her: Holofernes liegt am Boden und er hat keinen Kopf mehr.“

Wenn irgendwer auf der assyrischen Seite gehofft hatte, die Moral der Truppen retten zu können, um das Werk des ermordeten Feldherrn zu vollenden, hatte sich das hiermit auch erledigt. Statt Kampfesmut, folgten Entsetzen, Jammern und Wehklagen. Die Israeliten nutzten die Gunst der Stunde und griffen jetzt an. Die assyrische Armee, bis zum gestrigen Abend noch für unbesiegbar gehalten, hatte zwar nur einen einzigen seiner 120.000 Krieger und 7.000 Reiter eingebüßt, doch das reichte, damit sie sich in einer wilden Flucht auflöste. Überall erhoben sich nun auch die lokalen Bevölkerungen gegen die Assyrer, die auf die harte Tour erfahren mussten, dass es eine ehrliche Unterwerfung nicht gibt, sondern immer nur eine auf Zeit, bis sich eben diese Zeiten wieder ändern.

Die Israeliten, die den Kopf des Holofernes übrigens prominent an der Stadtmauer aufhängten, plünderten dreißig Tage lang das so eilig verlassene Feldlager. Auch das ein Zeichen dafür, was für eine überwältigende Übermacht sich dort versammelt hatte. Judit hatte in einer von Männern dominierten Welt nicht nur ihren Anteil am militärischen Erfolg gehabt, sondern in einer scheinbar aussichtslosen Lage unter Einsatz ihres Lebens eine hochriskante Geheimoperation durchgeführt, den feindlichen Feldherrn getötet und den Gegenangriff befohlen. Dass sie gleichzeitig noch schön und weise war, dürfte ebenfalls ihrer Beliebtheit genutzt haben. Für den weiblichen Teil des auserwählten Volkes wurde sie jedenfalls eine Inspiration und „alle Frauen in Israel eilten herbei, um Judith zu sehen, und sangen ihr Lob.“ Endlich gab es auch einen weiblichen Helden in der an Helden ja nicht armen Geschichte der Israeliten.

Auch wenn Judit viele Angebote erhielt, heiratete sie nie mehr und starb schließlich mit 105 Jahren als die am höchsten angesehene Person des Volkes. Was sie für einen Ruf hatte, lässt auch der letzte Satz ihrer Geschichte erahnen: „Niemand aber wagte mehr, die Israeliten zu beunruhigen, solange Judit lebte, und auch noch lange Zeit nach ihrem Tod.“

(Fortsetzung folgt…)