In der Erwartung, bald zu sterben, rief Tobit seinen Sohn Tobias zu sich, um ihm einige Ratschläge für sein weiteres Leben zu geben. Vermutlich wird es in diesem Vater-Sohn-Gespräch nichts Überraschendes gegeben haben, denn Tobit lebte ein Leben nach den strengen Regeln Gottes. Nicht weniger erwartete er von seinem einzigen Kind: „Alle deine Tage gedenke des HERRN! Hüte dich zu sündigen und seine Gebote zu übertreten! Vollbringe alle Tage deines Lebens gerechte Taten und wandle nicht auf den Wegen des Unrechts!“

Er listete noch weitere Gründe auf, warum ein gottgefälliges Leben nötig sei und begründet es mit der Feststellung: „Denn wer die Wahrheit tut, wird mit seinen Werken zu gutem Erfolg geführt.“ Das ist eine erstaunliche Aussage für einen Mann, der immer die Gebote gehalten hatte und nun erblindet vor seinem Sohn saß, der ihm nur in die erloschenen Augen blicken musste, um zu ahnen, dass Gott seine Gerechtigkeit vielleicht doch willkürlicher verteilt als man es als ehrlicher Mensch gerne hätte.

Zum Abschuss gab Tobit seinem Sohn noch die Anweisung, nach Medien zu reisen, wo er Geld bei einem Verwandten mit Namen Gabael hinterlegt hatte. Das sollte er sich holen. Da Tobis nicht wusste, wie er nach Medien kommt, machte er sich auf die Suche nach einem Reisebegleiter und traf auf der Straße einen jungen Mann, mit dem er ins Gespräch kam. Es stellte sich heraus, dass dieser schon viele Male den Weg nach Medien gereist war, was tatsächlich ein glücklicher Zufall hätte sein können. Als der Fremde aber nachschob, dass er dort bei einem gewissen Gabael übernachtet habe, hätte Tobias langsam misstrauisch werden sollen. Wie groß kann ein Zufall sein, bevor er sich wie eine Falle anhört? Tobias blieb jedoch naiv und freute sich, seinen Reisebegleiter gefunden zu haben – bei dem es sich zu seinem Glück nicht um einen Kriminellen handelte, sondern um den Engel Rafael, was er zu diesem Zeitpunkt aber nicht wusste. Auf der Reise selbst ließ der inkognito reisende Engel den jungen Mann das Herz, die Leber und die Galle aus einem Fisch entfernen und mitnehmen. Sie sollten zu einem späteren Zeitpunkt noch von Bedeutung sein.

Die Eltern einigen sich mit dem künftigen Ehemann ihrer Tochter – dann wird sie unterrichtet, dass sie heiratet

In Medien angekommen, ging es nicht direkt zum Verwandten mit dem Geld. Der Engel machte mit Tobias stattdessen Halt bei Raguel, der ebenfalls ein Verwandter war und außerdem eine Tochter hatte. Eben jene Sara mit dem wortwörtlich beunruhigenden Männerverschleiß. Der Engel gab sich Mühe, Tobias eine Heirat zu dieser Frau schmackhaft zu machen. „Und das Mädchen ist klug, mutig und sehr schön“, erklärte er und da er der nächste Verwandte sei, habe er sogar ein Recht auf die Ehe. Tobias schien aber skeptisch, was im wesentlich an den Geschichten lag, die sich bis in seine Heimatstadt verbreitet hatte und so sprach er es auch direkt aus: „Ich habe gehört, dass sie schon sieben Männern zur Frau gegeben wurde und dass sie in ihrem Brautbett in der Nacht starben.“ Kein Wunder, dass ihn diese Geschichten beschäftigen, wenn es hier um Zukunftsplanungen ging, die seine Anwesenheit in diesem Ehebett verlangten. Der Engel versuchte ihn zu beruhigen, wobei seine Erläuterung im ersten Moment nicht gerade für Entspannung gesorgt haben dürften. Sara werde von einem bösen Dämon begleitet, der sich in sie verliebt habe und eifersüchtig jeden töte, der mit ihr eine Ehe führen will. Doch wenn man Herz und Leber eines Fisches im Zimmer auf Räucherkohle lege, würde sich der Duft verbreiten und den Dämon vertreiben.

Tobias bewies erneut, was er für ein gutgläubiger Mensch war und gab sich mit dieser Erklärung zufrieden. Also gingen sie ins Haus und stellten sich bei Vater und Mutter vor, bevor nach kurzer Zeit Einigkeit darüber herrschte, dass Tobias die Tochter des Hauses heiraten wird. Als das geklärt war, wurden Reden gehalten und den beiden eine großartige Zukunft gewünscht, bevor zum Abschluss der Feierlichkeit noch jemand hinzugerufen wurde: die Braut Sara. Sie wurde nur kurz über die gerade beschlossene Veränderung ihrer Lebenssituation unterrichtet, ohne dass sie um ihre Meinung gefragt wurde. Schließlich nahm der Vater ihre Hand und legte sie in die Hand von Tobis, bevor es ihm gelang, in seiner kurzen Rede kein einziges persönliches Wort an seine Tochter zu richten, sondern sich nur an Tobias zu wenden: „Erwirb sie nach dem Gesetz und dem Recht, die im Buch Mose stehen, wonach sie dir zur Frau gegeben ist.“ Wer muss schon eine Frau um Erlaubnis fragen, wenn schon Moses wusste, was das Beste für sie ist?

Und schließlich ging der Tag in die Nacht über und so ließ sich der Gang ins Schlafzimmer nicht mehr aufschieben. Dort stand es, das Ehebett, in dem schon sieben Männer gestorben waren. Tobias nun kam den Anweisungen des Engels nach und entzündete ein Feuer, das den Duft von Fischherz und Fischleber verbreitete, woraufhin der Dämon floh und dabei vom Engel, der offenbar auch so was wie ein Geisterjäger war, gefangen und gefesselt wurde. Auf diese relativ einfache Weise hätten also auch die sieben anderen Männer gerettet werden können. Es hätte nur ein kleines Feuer und die Innereien eines Fisches gebraucht. Damit war die Gefahr gebannt und die beiden legten sich ins Bett.

Hätte der Ehemann die Hochzeitsnacht nicht überlebt, hätte vor dem Haus schon ein Grab auf ihn gewartet

Wäre Tobias aber irgendwann in der Nacht erwacht und aufgestanden und hätte er aus dem Fenster gesehen, so wäre ihm womöglich das Herz stehen geblieben. Unten vor dem Haus hoben Saras Vater und mehrere Knechte ein Grab aus. Hatte am Ende doch nicht der Dämon die Männer ermordet, sondern der Vater? Vielleicht wäre Tobias geflohen, wenn er diese heimliche Schufterei im Mondlicht bemerkt hätte. Er hat sie aber nicht bemerkt und nie davon erfahren, denn als er am nächsten Morgen erwachte, hatten sie das Grab längst wieder zugeschüttet. Es war tatsächlich für ihn bestimmt gewesen, hätte sich der Dämon nämlich noch ein achtes Opfer geholt, hätte der Vater ihn rasch begraben, damit niemand von diesem weiteren Todesfall im Schlafzimmer seiner Tochter erfährt. Umso größer war die Erleichterung, als eine Magd heimlich ins Schlafzimmer des Brautpaars lugte und Frau und vor allem Mann friedlich da lagen und lebten.

Nachdem auch das Geld, für das Tobias die Reise eigentlich angetreten hatte, übergeben war und eine Hochzeitfeier ausgerichtet wurde, machte er sich mit seiner frisch angetrauten und endlich dämonenfreien Frau auf den Heimweg. Mit dabei war immer noch der Engel, der weiterhin seine eigentliche Identität für sich behielt und offenbar auf einen Moment wartete, der sich für die Enthüllung seines wahren Ichs besonders anbieten würde.

(Fortsetzung folgt…)