Der Wiederaufbau des Tempels war noch der leichte Teil Nachdem der persische König dieses Bauprojekt unterstützt hatte, stand das Gotteshaus recht bald wieder. Schwieriger war es da schon, die Israeliten erneut auf den Bund mit dem einen Gott einzuschwören und umgekehrt diesem Gott klarzumachen, dass es sein Volk dieses Mal wirklich besser machen will. Im Grunde lag eine schwere Beziehungskrise zwischen Volk und Gott vor, die noch dadurch verstärkt wurde, dass die meisten Israeliten kaum noch etwas über ihren Glauben wussten. Woher auch, nachdem Generationen lang ihre Könige den Bund mit dem HERRN vernachlässigt oder ihn sogar aktiv abgelehnt hatten. Darum stand fest, dass die Rückkehr der Juden nach Juda vor allem auch eine Rückkehr zum Glauben der fernen Vorfahren sein musste.
Diese Rückkehr zu ermöglichen, sah der Prophet Esra als seine Aufgabe an. Er war nicht nur „kundig in der Weisung des Moses, die der HERR, der Gott Israels, gegeben hatte“ sondern auch „von ganzem Herzen darauf aus, die Weisung des HERRN zu erforschen und danach zu handeln und Gesetz und Rechtsentscheid in Israel zu Lehren.“ Er verstand sich selbst als Verbindungsstück zur guten alten Zeit und wird in der Bibel in epischer Länge vorgestellt als „der Sohn Serajas, des Sohnes Asarjas, des Sohnes Hilkijas, des Sohnes Schallums, des Sohnes Zadoks, des Sohnes Ahitubs, des Sohnes Amarjas, des Sohnes Asarjas, des Sohnes Merajots, des Sohnes Serachjas, des Sohnes Usis, des Sohnes Bukkis, des Sohnes Abischuas, des Sohnes des Pinhas, des Sohnes Eleasars, des Sohnes Aarons, des Hohepriesters.“ Letztlich muss man sich vor allem merken, dass es sich bei diesem Aaron am Ende der Liste um niemand anderen als den Bruder von Moses handelte, während die anderen Vorfahren im Wesentlichen an der Aufteilung des gelobten Landes beteiligt waren. Esra kam also aus einer Dynastie von Propheten, Richtern und Frommen, die großen Einfluss auf die israelitische Geschichte genommen hatten.
Prophet Esra will den Bund mit Gott erneuern und zerstört dafür viele Familien
Tatsächlich hatte Esra allen Grund, sich seiner Mission sicher zu sein. Schließlich hatte er nicht nur den HERRN auf seiner Seite, sondern auch den wohl mächtigsten Menschen seiner Zeit, den König von Persien. Er trug sogar ein Schreiben bei sich, das der Monarch verfasst hatte und in dem er Esra „alles Gute“ für seine Mission wünschte und jedem mit Strafe drohte, der ihm Hilfe verweigert. Außerdem war jeder, der am Bau des Tempels beteiligt war, von Steuern und allen anderen Abgaben befreit. Die Perser gaben sich wirklich viel Mühe, dem kleinen und ziemlich verunsicherten Volk in seiner Sinnkrise zu helfen. Trotzdem war Esra nicht zufrieden. Vor allem nicht mit den Israeliten, die das Land nie verlassen hatten, denn sie hatten in der Zwischenzeit Frauen anderer Völker geheiratet und mit diesen Familien gegründet.
Zwar war es in allen Generationen zuvor auch üblich gewesen, nicht nur Israelitinnen zu heiraten – Moses, David und Salomo sind nur drei Beispiele dafür – doch was früher meist durchgewunken wurde, galt jetzt plötzlich als ernstes Problem. Esra stellte sich als Fundamentalist heraus, der Gottes Willen durchsetzen wollte und dabei wenig Bereitschaft zu Kompromissen zeigte. In den Mischehen sah er ein so großes Vergehen, dass er es mit einer radikalen Entscheidung löste: Diese Beziehungen mussten sofort abgebrochen werden. Der Prophet, der hier mit dem reinsten Gewissen Familien auseinanderriss, erklärte dazu: „Wir wollen jetzt mit unserem Gott einen Bund schließen, dass wir alle fremden Frauen samt den von ihnen geborenen Kindern wegschicken.“ Um diesen Bund in die Tat umzusetzen, ließ er alle Israeliten des Landes zusammenkommen, wobei Fernbleiben hart bestraft worden wäre.
Dann begann er die Leute mit schwersten Vorwürfen zu überziehen, sprach von einem Treuebruch und von einem Gott, der darüber erzürnt sei. Am Ende dieser Ansprache wussten alle, dass ihnen dieser eifernde Prophet keine andere Wahl lassen würde, als ihre Frauen und Kinder zu verlassen. Und sie wussten wohl auch, dass ihr Leben unter den Augen dieses Gottesmannes unbequemer, strenger und auch freudloser werden wird, als es das vor seinem Erscheinen gewesen war. Letztlich riefen sie aus: „Alles, was du uns gesagt hast, müssen wir tun.“ Wobei wahre Begeisterung anders klingt. Esra ging sogar so weit, dass er eine Art Liste der Schande darüber erstellte, wer alles eine „fremde“ Frau hatte.
Darum ist bis zum heutigen Tag in der Bibel verewigt, dass unter anderem die vier Priester Maaseja, Elieser, Jarib und Gedalja versicherten, „ihre Frauen wegzuschicken und als Buße für ihre Schuld einen Widder zu bezahlen.“ Diese vier hatten vermutlich auch gehofft, für etwas anderes in Erinnerung zu bleiben als dafür, in den Augen eines Propheten als Sünder zu gelten, obwohl sie nur getan hatten, was so viele Helden der israelitischen Geschichte zuvor getan hatten. Ihre Betten und Leben nicht nur mit israelitischen Begleiterinnen zu teilen. Doch Esra betonte, dass die Vergangenheit des Volkes eine Vergangenheit der Treuebrüche war und dass es nun an der Zeit war, Gott zu beweisen, dass es in Zukunft anders läuft.
(Fortsetzung folgt…)