Ein Mann aus dem Volk der Amalekiter berichtete David, dass König Saul gefallen ist. Genaugenommen erzählte dieser Fremde, dass er selbst den verletzten König getötet hatte, weil dieser nicht in die Hand der Philister fallen wollte. Außerdem berichtete er auch von der Flucht des Volkes aus dem Kriegsgebiet und vom Tod Jonathans. Erschüttert hörte David zu, trauerte um die Gefallenen, um den König und seinen Freund Jonathan und erinnerte sich danach an den Unglücksboten und traf eine in jeder Hinsicht ungerechte Entscheidung, indem er ihn totschlug. Dabei musste dieser Unbekannte die finale Erfahrung vieler anderer Boten machen, dass die Überbringer schlechter Nachrichten allzu gerne mit der Ursache der schlechten Nachrichten verwechselt werden.
David machte sich im Anschluss an eine Verklärung des toten Königs, die alle Grenzen sprengte. Angefangen mit einem Lied, in dem es Strophen gibt wie: „Saul und Jonathan, die Geliebten und Treuen, / im Leben und Tod sind sie nicht getrennt. Sie waren schneller als Adler, / waren stärker als Löwen.“ Wenn man bedenkt, dass Saul über mehrere Jahre hinweg ebenso erfolglos wie ausdauernd versucht hatte, David zu töten, sind solche Worte wirklich erstaunlich. Abnehmen kann man ihm allerdings seine ehrliche Trauer um seinen Freund Jonathan, dem im weiteren Liedverlauf noch so manch zärtlicher Satz gewidmet ist, der Gottes missfallen gegenüber Männern, die bei Männern liegen, auf eine harte Probe stellte: „Weh ist mir um dich, mein Bruder Jonathan. / Du warst mir sehr lieb. / Wunderbarer war deine Liebe für mich / als die der Frauen.“
Alte Tradition: Den Überbringer schlechter Nachrichten erschlagen
Nachdem David die erste Trauer überwunden hatte, der Überbringer der Botschaft erschlagen und Saul zu einem Heiligen verklärt war, hielt ihn nichts mehr in der Fremde. Er musste zurück in sein Land und Gott hatte ihm auch gesagt, wohin genau: Hebron. Dort wurde er zum König des Stammes Juda gesalbt, was einen Machtkampf auslöste, da die anderen elf Stämme Ischbaal zum Herrscher ernannten, einen der Söhne Sauls. Dadurch kam es zur untragbaren Situation, dass es zwei gesalbte Könige nebeneinander gab, die beide Anspruch auf die Herrschaft erhoben. Auf diese Weise schlitterten die Israeliten in ihren zweiten Bürgerkrieg. Als sich die Armeen erstmals gegenüberstanden, schlugen Davids Truppen die der anderen Stämme in die Flucht, wobei die Verluste auf beiden Seiten überschaubar blieben. Die Sieger verloren neunzehn Mann und die Verlierer dreihundertsechzig.
Für den weiteren Verlauf des Konflikts sollte dieses scheinbar unbedeutende Scharmützel trotzdem eine entscheidende Rolle spielen, da Ischbaals Feldherr Abner dabei den Bruder von Davids Feldherrn Joab tötete, woraufhin Joab wenige Wochen später Abner unter einem Vorwand in eine Gasse Hebrons lockte und kaltblütig ermordete. David war außer sich, als er davon erfuhr und distanzierte sich öffentlich von dieser Tat. Ja, er ging sogar so weit, dass er Joabs Familie verfluchte, was schon deswegen riskant war, weil es sich bei Joab um seinen eigenen Neffen handelte, was die Frage aufwirft, wo Familie eigentlich aufhört. Letztlich verfolgte David damit aber eine klare Strategie: Er wollte jeden Verdacht von sich weisen, etwas mit dem feigen Mord zu tun zu haben.
Seine Beteuerungen fielen deswegen so deutlich aus, weil seine Tatbeteiligung im ersten Moment so naheliegend war. Auch darum weinte er öffentlichkeitswirksam am Grab des Toten Abner und verkündete in einer Rede auf den Verstorbenen: „Du bist gefallen, wie man unter der Hand von Verbrechern fällt.“ Womit er seinen eigenen Feldherrn öffentlich als Verbrecher bezeichnete. Dass dieser seine Tat als berechtigte Blutrache empfand, nachdem Abner seinen Bruder getötet hatte, ließ David nicht gelten. Er verkündete lieber: „Wisst ihr nicht, dass heute ein Fürst gefallen ist und ein großer Mann Israels?“ Insgesamt hatte er Erfolg mit seiner Strategie, „alle Leute, auch ganz Israel, erkannten an jenem Tag, dass die Ermordung Abners nicht vom König ausgegangen war.“ Wäre es anders gewesen, hätte David seine Ambitionen auf die Herrschaft über alle Israeliten begraben müssen.
Doch kaum war das Entsetzen über diesen Mord abgeklungen, erschütterte ein weiteres Attentat das Land. Ischbaal, dessen Königsambitionnen von elf der zwölf Stämme unterstützt wurde, wurde in seinem Bett von zwei seiner eigenen Soldaten getötet. Offenbar dachten sie, dass sich das Blatt zugunsten Davids gewendet hat, und reisten mit dem abgeschlagenen Kopf zu dessen Palast in Hebron. Dass sie nicht auf Anerkennung hoffen durften, hätte ihnen eigentlich nach Davids ehrlicher Abscheu nach dem Meuchelmord an Abner klar sein können.
Nun mussten sie es auf die harte Tour lernen, indem David ihnen vorhielt, „ruchlose Männer“ zu sein, die einen „rechtschaffenen Mann“ ermordet haben – dessen Kopf sie immer noch als Beweis gegen sich selbst in Händen hielten. Anschließend wurden sie hingerichtet und öffentlich aufgehängt, nachdem ihren Leichen noch die Hände und Füße abgehackt wurden. Der Kopf Ischbaal fand auf Befehl Davis im Grab Abners seine letzte Ruhe. Nach diesen dramatischen Ereignissen stand seiner Salbung zum König der Israeliten nichts mehr im Weg. Sein glaubwürdiges Entsetzen über die beiden Attentate hatten seine Position gestärkt, weswegen sich nun auch die Ältesten des Volkes einverstanden erklärten, ihn zum Monarchen zu machen. Er zog nach Jerusalem, um einen Palast zu bauen, von dem aus er herrschen wollte. Er war erst dreißig Jahre alt, als er zum König aller Israeliten wurde. Aber natürlich sollten nach seiner Krönung weitere Abenteuer auf ihn warten, die eine entspannte Regentschaft verhinderten.
(Fortsetzung folgt…)