Für die Bibel gilt das ungeschriebene Gesetz: Umso schwerer es einer Frau fällt, schwanger zu werden, umso beeindruckender wird das Kind sein, das am Ende dieses Leidensweges steht. Auch die Geburt Samuels bestätigt diese Regel. Er war das späte Kind einer Frau mit Namen Hanna, die längst befürchtet hatte, für immer ohne Nachwuchs zu bleiben. Das war für sie gleich doppelt schmerzhaft, da ihr Mann noch eine zweite Frau hatte, die in dieser Hinsicht keine Probleme hatte.
In ihrer Verzweiflung schlug Hanna dem HERRN folgenden Deal vor: Wenn du meinen Kinderwunsch erfüllst, dann soll dieses sein Leben ganz der Dienerschaft Gottes widmen. Wobei der erhoffte Nachwuchs aber männlich sein sollte, darauf bestand Hanna dann doch noch. Diesen Vorschlag machte sie Gott in einem Tempel, wobei der dortige Priester offenbar recht ungeübt darin war, menschliche Reaktionen zu deuten. Denn er beobachtete die Frau eine Weile, bevor er für sich entschied, dass er es hier mit einer Betrunkenen zu tun haben muss: „Sieh zu, dass du deinen Weinrausch los wirst!“, fuhr er sie darum unsanft an. Das Missverständnis klärte sich zwar auf, aber so rüde möchte niemand aus einem so intimen Moment gerissen werden.
Der Priester hieß Eli und ist darum von Interesse, weil Gott den Wunsch von Hanna erfüllte und ihr einen Sohn schenkte, der Samuel genannt wurde. Weil dieser nun aber sein Leben im Dienste Gottes führen sollte, kam er unter die Aufsicht eben dieses Priesters Eli. (Hanna selbst bekam sogar noch drei weitere Söhne und zwei Töchter und wurde damit von Gott weit über das hinaus beschenkt, was sie sich erhofft hatte.) Schnell stellte sich heraus, dass Eli seine Familie ebenso wenig im Griff hatte wie den Tempel und offenbar mit allem überfordert war.
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Vor allem seine beiden Söhne waren „nichtsnutzige Menschen“, die ihrem Vater im Tempel halfen, wobei sie so ziemlich alles taten, was Priester nicht tun sollten. Sie schliefen mit Frauen, die sich dem Tempel näherten und kannten die religiösen Rituale nicht oder ignorierten sie schlicht. So nahmen sie die Opfergaben oft schon an sich, bevor sie korrekt dargebracht waren. Wenn es dagegen Protest gab und die Gläubigen meinten: „Zuerst muss man doch das Fett in Rauch aufgehen lassen“, wurde ihnen mit Gewalt gedroht. Auf diese Weise brachten sie die Opfergaben um den Rauch, der zu allen Zeiten der „beruhigende Duft für den HERRN“ war.
Es sollte nicht weiter erstaunen, dass Gott das Verhalten dieser jungen Männer für eine schwere Sünde hielt. Es erging Menschen im Allgemeinen nie gut, wenn Gott sie für Sünder hielt und so sollte es in diesem Fall auch kommen. Gott ließ Eli wissen, dass seine Familie die Gunst des HERRN verloren hat. Wobei die Folgen davon verheerend waren und unter anderem vorsahen, dass es in dieser Familie nie mehr einen alten Mann geben würde. „Der ganze Nachwuchs deines Hauses wird im besten Mannesalter sterben“, erklärte der HERR und stellte sogleich klar, dass er die Ernsthaftigkeit seines Vorhabens an den beiden Söhnen Elis demonstrieren würde, „beide werden an einem Tag sterben.“ Nur Samuel, fuhr Gott fort, werde weiter in seiner Gunst stehen, was er Eli offenbar mitteilte, bevor er es Samuel selbst sagte.
Als Gott jedenfalls einige Zeit später mit Samuel sprach, machte er wieder etwas, was er nun schon seit Jahrhunderten mit Menschen machte, auf die er große Stücke hielt: Er überforderte sie mit dem Gewicht dessen, was er ihnen mitteilte. So ließ er Samuel ohne Umschweife wissen: „Fürwahr, ich werde in Israel etwas tun, sodass jedem, der davon hört, beide Ohren gellen.“
Vielleicht war das auch nötig, denn Gott selbst hatte sich in letzter Zeit etwas zurückgenommen, weswegen es heißt: „In jenen Tagen waren Worte des HERRN selten; Visionen waren nicht häufig.“ Offenbar hatte Gott vor, daran jetzt schleunigst etwas zu ändern. Vielleicht auch, damit endlich wieder der Duft von Opfergaben zum Himmel steigt. Die Überforderung Samuels dürfte in der Direktheit liegen, mit der er über in diesem Gespräch auch über den tiefen Fall der Familie Eli unterrichtet wurde. Immerhin hatte er ein enges Verhältnis zu Eli und wurde von ihm nie schlecht behandelt. Kein Wunder, dass Samuel zögerte, ihm von seinem Gespräch mit Gott zu berichten, der bei der harten Bestrafung der Familie geblieben war.
Als Eli dann doch erfuhr, wie unversöhnlich der HERR geblieben war, zog er sich in ein lakonisches Ertragen des Unvermeidbaren zurück und meinte nur: „Es ist der HERR. Er tue, was ihm gefällt.“ So tragisch diese Ereignisse für die Familie Eli auch waren, so sehr stieg Samuel nach diesen richtungsweisenden Entscheidungen Gottes zur vielleicht wichtigsten moralischen Instanz der Israeliten auf: „Ganz Israel von Dan bis Beerscheba erkannte, dass Samuel als Prophet des HERRN beglaubigt war.“ Dass eine solche Position eine der schwersten war, die man ausüben konnte, sollte er schon bald darauf feststellen.
(Fortsetzung folgt…)