Wenn das Volk nicht gerade vom Glauben abfiel und von Gott bestraft wurde oder sich gegenseitig bekämpfte, gab es noch weitere Probleme, die in jener Zeit regelmäßig auftraten. Hungersnöte zum Beispiel. Wegen einer solchen suchten die Israelitin Noomi, die in Betlehem lebte, mit ihrem Mann und zwei erwachsenen Söhnen eine neue Heimat und fanden sie „im Grünland Moabs“.

Auch wenn ihr Mann bald darauf starb, schien der Neubeginn anfangs zu glücken, beide Söhne heirateten einheimische Frauen und alle verbrachten zehn mehr oder wenige sorglose Jahre zusammen. Dann starben beide Söhne, ohne dass die Bibel genauer auf die Umstände eingeht, und die erschütterte Mutter kehrte in ihre frühere Heimat zurück.

Eine der beiden Schwiegertöchter, Rut, ließ sich nicht davon abbringen, sie zu begleiten. Offenbar war sie von der israelitischen Kultur und Religion beeindruckt, denn sie stellte klar: „Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott“. Dieses Bekenntnis ist deswegen bemerkenswert, weil die Moabiter kein israelitischer Stamm waren und andere Götter verehrten.

Rut fing an, auf einem Feld zu arbeiten, wobei eine ihrer Bemerkungen zeigt, wie hart das Leben für alleinstehende Frauen damals gewesen sein muss. Rut nämlich sank vor dem Ackerbesitzer nieder, „beugte sich zur Erde, und sagte zu ihm: Wie habe ich es verdient, dass du mich so achtest, da ich doch eine Fremde bin?“ Warum diese Dankbarkeit? Weil der Ackerbesitzer ihr mitgeteilt hatte: „Ich habe den Knechten befohlen, dich nicht anzurühren.“ Sie durfte also für einen geringen Lohn schuften, ohne dabei sexuell belästigt zu werden. Das reichte schon, um Dankbarkeit zu entwickeln.

Der Ackerbesitzer, der auch sonst zu den wohlhabenderen Menschen in Betlehem gehörte, hieß Boas. Ruts Schwiegermutter Noomi hielt ihn für einen anständigen Mann. Deswegen drängte sie Rut, sich ihm anzunähern, weil „es dir gut geht“ bei ihm, wie sie versicherte. Was danach passierte, war ein beeindruckend verkrampfter Annäherungsversuch. Rut ließ sich von ihrer Schwiegermutter beraten, wie sie am besten das Interesse dieses Fremden wecken kann, und ihr Ratschlag kam wenig subtil und ziemlich eigenartig daher.

Nachdem Boas sich ins Bett gelegt hatte, schlich Rut in sein Zimmer und legte sich zu seinen Füßen. So zusammengekauert blieb sie über Stunden hinweg liegen, bis sie endlich bemerkt wurde. Was passierte dann? Küsste er sie? Fielen sie sich in die Arme? Freute er sich wenigstens? Nichts davon. Stattdessen eine Frage, die man selten jemanden stellt, der im selben Bett schläft: „Wer bist du?“ Es folgten ein kurzes Gespräch, bevor beide weiterschliefen. Rut weiterhin „zu seinen Füßen“.

Doch ihr Werben um Boas hatte tatsächlich Erfolg, womit sie womöglich die emanzipierteste Frau ihrer Epoche war, schließlich hatte sie die Initiative ergriffen und den ersten Schritt getan, auch wenn dieser vor allem Dingen darin bestand, eine Nacht lang zu Boas Füßen im Bett zu liegen. Sie heirateten, Rut verlegte ihren Schlafplatz vom Fuß- zum Kopfende des Bettes, und sie scheinen eine glückliche Ehe geführt zu haben, aus der ein Sohn hervorging, dessen Enkel wiederum einer der berühmtesten Israeliten der Geschichte werden sollte. Um ihn geht es an späterer Stelle noch sehr ausführlich.

(Fortsetzung folgt…)