Seit den Tagen von Josef hatte sich viel getan. Niemand lebte mehr, der ihn gekannt hatte und seine großen Verdienste um das Land gerieten in Vergessenheit. Auch die Pharaonen änderten sich. Von der Toleranz ihrer Vorgänger war nichts übrig geblieben. Nun saßen ängstliche und kurzsichtige Herrscher auf dem Thron, die den Hebräern misstrauten und sie zu Sklaven machten. Um ihre Zahl zu reduzieren, sollten außerdem ihre männlichen Säuglinge getötet werden.
Aus diesem Grund legte eine jüdische Mutter ihren Neugeborenen in einen Korb und setzte ihn im Schilf des Nils aus. Dort entdeckte ihn ausgerechnet die Tochter des Pharao, fand heraus, wer die Mutter ist und gab ihr das Kind zurück…die es noch eine Weile aufziehen durfte, bevor die Pharaonen-Tochter es ihr endgültig wegnahm. Letztlich ein ziemlich grausames Vorgehen, mit dem sie gleichgültig eine Familie auseinanderriss und der Mutter sogar das Privileg nahm, einen Namen für ihren Sohn auszusuchen. Vielleicht hätte sie ihn Amram genannt oder Elizafan, Sitri oder Libni. Alte hebräische Namen. Namen ihrer Gemeinschaft und Kultur. Doch die Pharaonen-Tochter entschied sich für Moses. Einen ägyptischen Namen.
Der Junge wuchs heran und war erschüttert über die Gewalt gegen sein Volk. Als er wieder mal einen Soldaten sah, der einen Hebräer schlug, vergewisserte Moses sich, dass ihn niemand sah und tötete den Ägypter. Dass er sich doch nicht gut genug abgesichert hatte, wurde schon am nächsten Tag klar. Er wollte einen Streit zwischen zwei Juden schlichten, als ihm einer der Männer hämisch zurief: „Meinst du, du könntest mich umbringen, wie du den Ägypter umgebracht hast?“ Irgendwer hatte ihn also doch beobachte und verraten. Vielleicht ja der Mann, den er gegen den Ägypter verteidigt hatte? Er floh jedenfalls aus Ägypten und fing anderswo ein neues Leben an, fand eine Frau, wurde Vater und hütete das Vieh. So hätte es weitergehen können, bis er alt wurde und starb. Doch so ging es nicht weiter.
Sprechende Sträucher und zaudernde Hirten
Gott hatte andere Pläne mit ihm. Warum genau mit ihm ist nicht klar und auch nicht naheliegend. Er war unter Ägyptern aufgewachsen und lebte auch jetzt nicht mit seinem Volk zusammen. Er war ein Außenseiter, der nirgendwo dazugehörte und nun endlich seinen Frieden gefunden hatte. Doch mit dem war es vorbei, als er beim Hüten der Schafe plötzlich diesen Dornbusch bemerkte, der brannte, ohne zu verbrennen und außerdem sprechen konnte. Beides Dinge, die Dornbüsche für gewöhnlich nicht können.
Bei der Stimme handelte es sich um die Gottes, der verkündete: „Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen. Ich bin herabgestiegen, um es aus der Hand der Ägypter zu entreißen.“ Er wolle es in das Land führen, „wo Milch und Honig“ fließen, womit Kanaan gemeint war und wo schon Abraham, Issak und Jakob begraben lagen. Gott beendete seinen Auftritt mit den dramatischen Worten: „Und jetzt geh! Ich sende dich zum Pharao. Führe mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten heraus!“ Und wie reagierte Moses? Klopfte er sich entschlossen auf die Brust und machte sich auf den Weg? Nein, das kann man wirklich nicht behaupten. Er fragte stattdessen: „Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehen und die Israeliten aus Ägypten herausführen könnte?“
„Ich bin mit dir!“, antwortete Gott und wenn er dachte, dass alle Selbstzweifel damit erledigt sind, sollte er sich täuschen. Sie hatten gerade erst begonnen. Moses spielte nun durch, wie die Israeliten wohl reagieren würden, wenn er von seiner Begegnung mit Gott berichten würde: „Da werden sie mich fragen: Wie heißt er? Was soll ich ihnen sagen?“
Der Dornbusch meinte dazu: „So sag zu den Israeliten: Der HERR, der Gott, der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs, hat mich zu euch geschickt.“
Immer noch schien Moses nicht überzeugt: „Was aber, wenn sie mir nicht glauben und nicht auf mich hören, sondern sagen: Der HERR ist dir nicht erschienen?“
Gott merkte nun wohl, dass er so nicht weiterkommt, also änderte er seine Strategie: „Was hast du da in der Hand?“
Mit Blick auf seinen Hirtenstab meinte Moses: „Einen Stab!“
Gott verliert die Geduld und danach einen Zweikampf
Er sollte ihn nun auf den Boden werfen, wo er zu Moses großer Überraschung zu einer Schlange wurde, die sich wieder in einen Stab verwandelte, als er sie berührte. Gott ließ ihm kaum Zeit durchzuatmen, da forderte er ihn schon auf, nun eine Hand in sein Gewand zu stecken. Als er sie wieder herauszog, war sie von Lepra entstellt, die wieder verschwand, nachdem Moses die Hand erneut ins Gewand führte. Außerdem meinte Gott, dass Moses nur Nilwasser auf den trockenen Boden spritzen muss, damit es dort zu Blut wird. Konnte er Moses wenigstens mit diesen übernatürlichen Fähigkeiten überzeugen?
Nein.
„Aber bitte, HERR, ich bin keiner, der gute reden kann. Mein Mund und meine Zunge sind nämlich schwerfällig.“
Wer kann es Gott verdenken, dass ihm nun die Geduld verließ und sein „Zorn“ über Moses kam. Er brannte als Dornbusch vor diesem Hirten und zeigte ihm ein Wunder nach dem anderen und das Einzige, was diesem Mann einfiel, waren immer neue Zweifel. Ganz sicher erhofft sich ein allmächtiger Gott eine andere Reaktion, wenn er sich mit so viel Mühe einem einzelnen Menschen offenbart. Vielleicht wollte Moses aber auch einfach sein beschauliches Leben behalten, statt einen Sklavenaufstand anzuführen.
Nachdem er sich letztlich doch überreden ließ, kam es allerdings noch zu einem irritierenden Vorfall, über den es in der Bibel lapidar heißt: „Unterwegs am Rastplatz trat der HERR dem Moses entgegen und wollte ihn töten.“ Warum er das wollte, ist nicht überliefert und es blieb auch beim erfolglose Versuch, über den danach nie wieder gesprochen wurde. Nachdem Gott vor langer Zeit schon gegen Jakob im Nahkampf verloren hatte, gab er auch dieses Mal keine so gute Figur ab.
(Fortsetzung folgt…)
Das Buch Genesis / Die Anfänge
Die Erzeltern
Josef und seine Brüder
Das Buch Exodus / Israel in Ägypten
Empörung des Pharao gegen Gott
Auszug aus Ägypten
Offenbarung und Bundesschluss
Grundlegung der Ordnung von Heiligtum und Liturgie
Sünde des Abfalls und ihre Vergebung
Ausführung der liturgischen Anordnung
Das Buch Levitikus / Opferbestimmungen
Einsetzung der Priester als Träger der Heiligkeit
Reinheit im Alltag