Vermutlich gibt es keine andere Geschichte in der Bibel, die so von Grund auf unmoralisch ist und in jeder Hinsicht Bösartigkeit und Gewalt belohnt und Ehrlichkeit und Friedfertigkeit bestraft.
Es beginnt schon damit, dass einer Mutter viel Geld gestohlen wurde und sie öffentlich den Dieb verfluchte, der sich später reumütig bei ihr meldete und sich als ihr eigener Sohn Micha herausstellte. Woraufhin die alte Frau ihn nicht nur nicht bestrafte, sondern stattdessen für einen beträchtlichen Teil ihres Vermögens ein Schnitz- und ein Gussbild des HERRN anfertigen ließ, um diese Artefakte ihrem diebischen Sohn zum Geschenk zu machen.
Bald darauf traf ein Israelit aus dem Stamme der Leviten ein, der offenbar ein wenig ziellos durchs Leben irrte und eine neue Aufgabe suchte. Die fand er als Priester von Micha, der überaus stolz auf seine beiden Artefakte war. Alle schienen sie nun für eine Weile glücklich zu sein. Bis fünf weitere Fremde kamen, dieses Mal vom Stamme der Daniter, die auf der Suche nach einem Stück Land waren.
Der Levit und Privat-Priester unterhielt sich etwas mit ihnen, bevor sie weiterzogen und ein Gebiet entdeckten, über das es heißt: „Sie sahen, dass das Volk dort ungestört nach Art der Sidonier lebte, ruhig und sicher. Es gab niemanden, der Schaden anrichtete im Land, keinen Eroberer und keinen Unterdrücker.“
Die Daniter sahen dieses friedliche Idyll und erfreuten sich daran, bevor sie den für sie offenbar einzig naheliegenden Schluss zogen: „Auf, ziehen wir hinauf gegen sie!“ Woraufhin sie die friedlichen Sidonier erschlugen und ihre Stadt anzündeten. „Niemand kam zu Hilfe“, stellt die Bibel dazu fest.
Ach so, bevor die Daniter das harmlose Volk niedermetzelten, fragten sie den Privat-Priester noch, ob er sich ihnen nicht anschließen will. Und der ehrenwerte Mann sagte sofort zu, stahl aber noch die beiden kostbaren Artefakte, bevor er ging. Als Micha seinem diebischen Ex-Priester und der Armee hinterhereilte, um seinen Besitz zurückzufordern, wurde er von den Danitern schroff abgewiesen. Sie drohten unverblümt damit, seine Familie zu töten, wenn er nicht sofort verschwindet.
Die Moral dieser Geschichte lässt sich in der Reaktion des Hausherrn ablesen: „Micha aber sah ein, dass sie stärker waren als er, kehrte um und ging nach Hause zurück.“ Wer stärker ist, gewinnt und darf seine Kraft rücksichtslos einsetzen.
Dass diese Geschichte mit einem Happy End für die Daniter endet, die sich Mühe gaben, auf möglichst jeder denkbaren Ebene rücksichtslos und gnadenlos zu sein, ist ein wenig irritierend. Zumindest für jeden, der denkt, dass gute Taten belohnt und schlechte bestraft werden.
Sie wurden nicht bestraft, sie erhielten stattdessen das Stück Land, das sie sich wünschten und dazu den Priester, den sie sich wünschten und zwei Gott geweihte Kunstwerke noch dazu, die der Priester dem Mann stahl, der ihn einst freundlich in seinem Haus aufgenommen hatte.
Es wäre interessant zu erfahren, was für Werte die Daniter ihren Kindern beibrachten. Gemessen an ihren eigenen Erfahrungen im Leben dürfte es ein ziemlich düsterer Moralkodex gewesen sein. In etwa so: Eine schlechte Tat führt zur nächsten schlechten Tat und die führt dazu, dass alle deine Träume in Erfüllung gehen.
(Fortsetzung folgt…)