Nach den fünfundvierzig ruhigen Jahren hatten die Israeliten schließlich eine Idee, die für sie noch nie gut ausgegangen war: „Die Israeliten taten, was in den Augen des HERRN böse ist.“ Konkret übernahmen sie die Götter der benachbarten Völker und interessierten sich nicht mehr für jenen Gott, der sie aus Ägypten befreit hatte.
Deswegen ließ der HERR sie mal wieder bestrafen, wobei die Unterdrückung in diesem Fall achtzehn Jahre dauerte, und mit einer brutalen Besatzung einherging, über die es heißt: „Sie zerschlugen und misshandelten die Israeliten.“
Als es gar nicht mehr auszuhalten war, besann sich das Volk wieder seines HERRN, der jedoch nur kühl antwortete: „Ihr habt mich verlassen und anderen Göttern gedient“, womit er recht hatte und woraus er die Konsequenz zog: „Geht und schreit doch zu den Göttern, die ihr euch erwählt habt; sollen doch die euch retten in der Zeit eurer Not.“ Er ließ sich aber schließlich doch erweichen, als er sah, wie sehr sich die Israeliten plötzlich wieder um ihn bemühten.
Dass die Israeliten oft vom rechten Weg abkamen, merkt man auch am großen Verschleiß an Helden, die sie zu ihrer regelmäßigen Rettung benötigten. Der aktuelle hieß Jiftach und hatte offenbar ein ähnlich schwieriges Verhältnis zu seinen Brüdern wie es einst Josef hatte, der nach Ägypten verkauft wurde. Auch Jiftach wurde einst vertrieben. Von seinen Halbbrüdern, die von der Frau ihres gemeinsamen Vaters geboren wurde, während Jiftach der Nachkomme einer „Dirne“ war. Er floh in ein anderes Land, wo er Männer um sich scharrte, „die nichts zu verlieren hatten“, was selten ein gutes Zeichen ist.
Erste Versuche einer Briefpapierdiplomatie
Als wieder einmal eine fremde Armee die Israeliten bedrohte, erinnerte man sich an Jiftach und bat ihn, bei der Abwehr der Gefahr mitzuhelfen. Doch er erinnerte seine Gäste daran, dass sie ihn doch gehasst und aus dem Haus seines Vaters vertrieben hätten und stellte darum die naheliegende Frage: „Warum kommt ihr jetzt zu mir, da ihr in Bedrängnis seid?“ Auf die er die ebenso naheliegende Antwort bekam: „Eben darum haben wir uns jetzt dir zugewandt.“ Diese schnörkellose Ehrlichkeit schien ihn überzeugt zu haben und schon wurde er zum Anführer gemacht, der dem feindlichen König einen Brief schrieb.
Offenbar war es unter den Israeliten damals üblich, schnell auf den Punkt zu kommen, denn die Nachricht bestand nur aus einem Satz: „Was haben du und ich miteinander zu schaffen, dass du herangerückt bist, um gegen mein Land Krieg zu führen?“ Aus der Antwort ging hervor, dass der fremde Monarch (der zum Volk der Ammoniter gehörte) in Sachen Landbesitz eine andere Vorstellung hatte. Er hing der Ansicht nach, dass es das Land seines Volkes sei, das die Israeliten ihnen gestohlen hätten: „Gib es jetzt freiwillig wieder zurück!“ Jiftach antwortete noch einmal und wies dabei die Sichtweise des Ammoniters zurück, der sich danach nicht mehr zu einem Antwortschreiben herabließ.
Letztlich konnte dieser Briefwechsel also den Krieg nicht verhindern und hatte auch an keiner Stelle Grund zu dieser Erwartung gegeben. Trotzdem stellte er so etwas wie den Beginn der diplomatischen Konfliktlösung dar, auch wenn es noch ein sehr zartes Pflänzchen war. Vielleicht hätten die Amoriter doch weiter Nachrichten mit Jiftach austauschen sollen, denn er besiegte sie in einem langen und erfolgreichen Feldzug, in dessen Verlauf er zwanzig Städte eroberte.
Den Sieg zum Preis der eigenen Tochter
Doch er sollte diesen militärischen Triumph teuer bezahlen. Vor den Kampfhandlungen hatte er um den Beistand Gottes gebeten und in Bezug auf einen glücklichen Ausgang vorgeschlagen: „Dann soll, was immer mir aus der Tür meines Hauses entgegenkommt, dem HERRN gehören und ich will es als Brandopfer darbringen.“
Nun ja, um es kurz zu machen: Was ihm entgegenkam, war seine einzige Tochter, die er nach einigem Wehklagen tatsächlich opferte. Vielleicht hatte er bis zum Schluss noch die leise Hoffnung gehabt, dass es ihm wie Abraham ergeht und Gott im letzten Moment eingreift und die ganze Sache absagt. Doch nichts geschah und Jiftach hielt Wort und verlor auf diese Weise seine Tochter.
Er lebte danach noch sechs Jahre, in denen er als Oberhaupt der Israeliten galt. Doch es ist unwahrscheinlich, dass er nach diesem Schicksalsschlag noch einmal wirklich glücklich wurde. Zumal in seine letzten Jahre auch ein Bürgerkrieg fiel, bei dem Israeliten gegen Israeliten standen und sein Stamm einen rivalisierenden besiegte und zweiundvierzigtausend Mann tötete.
(Fortsetzung folgt…)