Es war so weit. Moses lebte nicht mehr und damit der Übervater der Auswanderung, der unglaubliche vierzig Jahre lang das Volk angeführt hatte und im ebenfalls beachtlichen Alter von hundertzwanzig Jahren gestorben war. Nun standen die Israeliten gleich auf zweierlei Weise am Beginn einer neuen Epoche. Da wäre zum einen Josua, der Nachfolger von Moses, und zum anderen das noch viel größere Ereignis: die Ankunft im verheißenen Land! Bevor der Jordan überquert werden konnte, musste aber noch etwas ganz anderes nachgeholt werden. Die Beschneidung aller Jungs und Männer, die nach dem Auszug aus Ägypten geboren wurden.

Es erstaunt, dass diese Tradition während der Wüstenwanderung eingestellt wurde, schließlich gehörte die Beschneidung für Gott zu den notwendigen Teilen des Bundes, den er mit den Israeliten geschlossen hatte. Und wenn Abraham das einst noch mit neunundneunzig Jahren bei sich selbst durchführen konnte, hätte es doch irgendwen im langen Tross der Israeliten geben müssen, der dazu auch in der Wüste fähig gewesen wäre. Aus irgendeinem Grund hatte das aber niemand gemacht und darum war es jetzt an Josua, diese Beschneidungen nachzuholen.

Danach aber war es wirklich und tatsächlich und endlich so weit. Der Jordan war das Letzte, was das Volk noch von dem Land trennte, über das es seit vierzig Jahren immer neue wunderbare und manchmal bedrohliche Gerüchte gehört hatte. Der Tross setzte sich in Bewegung und Gottes auserwähltes Volk setzte über. Das heißt, eigentlich nicht so richtig, denn der HERR hatte sich für diesen Moment etwas überlegt, was nicht mehr ganz neu war: Er hielt die Wasser des Flusses an und ließ einen Durchgang entstehen, sodass die Israeliten trockenen Fußes durch das Flussbett gehen konnten.

Damit wiederholte er das Wunder, das er am Roten Meer gezeigt hatte, nur dass es sich beim Jordan um ein weniger mächtiges Gewässer handelte und darum alles auch ein bisschen weniger beeindruckend wirkte. Doch schließlich hatte das Volk sein Ziel erreicht. Es stand endlich im versprochenen Land und, nun ja, fing fast sofort mit dem blutigsten Eroberungsfeldzug an, den die Bibel kennt. Mit Josua an der Spitze, besiegten die Israeliten nicht weniger als einunddreißig Königreiche, wobei sie keinen einzigen Monarchen am Leben ließen…und keinen einzigen Untertan.

Gott kämpft mit und lässt Steine vom Himmel fallen

Ein Feldzug glich dem anderen, was sich in seiner monotonen Brutalität so liest: „Am gleichen Tag nahm Josua Makkeda ein und erschlug seine Bewohner und seinen König mit der Schärfe des Schwertes. Niemand ließ er entkommen. Dann zog Josua mit ganz Israel von Makkeda weiter nach Libna. Josua erschlug alles, was in ihm lebte; niemand ließ er entkommen. Dann zog Josua mit ganz Israel von Libna weiter nach Lachisch. Josua nahm die Stadt am zweiten Tag ein. Er erschlug alles (…)“ Und so weiter und so weiter. Auf diese Weise zog das Volk von Königreich zu Königreich und wenn der Widerstand eines Feindes doch größer war als erwartet, griff Gott selbst ein und warf große Steine vom Himmel auf die gegnerischen Streitkräfte, die mehr Menschen erschlugen „als die Israeliten mit dem Schwert töteten.“ Ob er seine Wurfgeschosse davor vom Erdboden in die Höhe trug, oder ob Engel ihm diese Arbeit abnahmen, oder wie er sonst da oben in den Besitz der Steine kam, wird dabei nicht weiter erläutert.

Während alle anderen Eroberungen längst vergessen sind, ist die Belagerung und spätere Erstürmung Jerichos bis heute berühmt. Der Grund dafür sind die Posaunen, mit denen die Mauern zum Einsturz gebracht wurden, obwohl in Wahrheit das „Kriegsgeschrei“ sowie das „schallende Geschrei“ mindestens ebenso notwendig dafür waren. Von dieser Besonderheit abgesehen, verlief die weitere Erstürmung dieser Stadt so wie die aller anderen, weswegen alle Frauen, Männer und Kinder (und Rinder, Schafe und Esel) getötet wurden. Auch kam es zu öffentlichen Demütigungen gefangener Könige. In einem Fall ließ Josua fünf von ihnen auf den Boden werfen, bevor er seine Soldaten aufforderte „setzt diesen Königen euren Fuß auf den Nacken!“ Was sie auch taten, bevor die Monarchen erschlagen und danach aufgehängt wurden.

Während eine Stadt nach der anderen ebenso blutig wie erfolgreich erobert wurde, ging die Stadt Gibeon einen ganz anderen Weg. Die Bewohner hatten keine Hoffnung, gegen das israelitische Volk anzukommen, das von seiner Mission mit religiösem Eifer überzeugt war und entschieden sich darum für einen Trick. Sie zerrissen ihre Kleidung und griffen sich ausgetrocknete Brote, während sie abgewetzte Sandalen trugen und wanderten so den Israeliten entgegen. Sie kämen aus einem fernen Reich und wollten sich gerne den Israeliten unterwerfen und einen Bund mit ihnen schließen, behauptete sie. Josua war zuerst misstrauisch und hielt sie für Bewohner dieses Landes, wofür sie das gleiche Schicksal wie alle anderen erwartet hätte, die hier siedelten.

Doch schließlich gab er den Bitten nach und die Menschen aus Gibeon bekamen ihren Bund. Als die Israeliten kurz darauf auf die Stadt Gibeon stießen und merkten, dass sie überlistet wurden, mussten sie sich dennoch an die geschlossene Vereinbarung halten, da Gott ihnen sonst gezürnt hätte. Statt die Einwohner zu töten, machte Josua sie darum zu „Holzfällern und Wasserträgern“ der Gemeinde. Wobei das für die Menschen aus Gibeon vor allem bedeutete: Sie überlebten die Ankunft der Israeliten. Ein Zustand, der für die Bewohner des Landes in Gottes Plan eigentlich nicht vorgesehen war.

Massaker gehen in Ordnung, Diebstahl nicht

Wobei die Gnadenlosigkeit von Josua auch vor Israeliten keinen Halt machte. Nachdem ein Krieger dabei erwischt wurde, Gold und Silber zu stehlen, wurde er mitsamt seiner Familie und seinem Vieh getötet. Dass Moses in seiner letzten Rede an das Volk noch die Sippenhaft verurteilt hatte, schien in diesem Moment keine Rolle zu spielen. Allerdings hatte Josua auch kaum eine andere Wahl. Gott selbst hatte den Diebstahl nämlich bemerkt und eine harte Bestrafung gefordert. Solange diese nicht erfolgt sei, würde er sich vom Volk abwenden, drohte er und hielt sich auch daran.

Das hatte schlimme Folgen, da der erste Feldzug ohne Gottes Unterstützung sofort in einer empfindlichen Niederlage endete, wegen der Josua selbst schon die Frage aufwarf, ob das Leben auf der anderen Seite des Jordans nicht besser und friedlicher wäre als hier, wo es so viele Könige zu besiegen gilt (zu jenem Zeitpunkt hatte er noch nicht allzu viele gekrönte Häupter aufhängen lassen). Die andere Flussseite hatte nun also die Verklärung Ägyptens als Sehnsuchtsort abgelöst.

Durch die drakonische Strafe für den Plünderer konnte der HERR aber wieder milde gestimmt werden und somit die ziemlich militante Besitznahme des Landes erfolgreich weitergehen. Nachdem schließlich alle Königreiche besiegt waren, „hatte das Land Ruhe vom Krieg“, weil es niemanden mehr gab, der diese Ruhe durch Krieg hätte stören können. Dafür hätte es schon einen Bürgerkrieg zwischen den Israeliten geben müssen oder einen verspäteten Aufstand der Menschen aus Gibeon. Beides geschah nicht und so ging Josua nicht nur als Prophet, sondern zugleich als erster Feldherr in die israelitische Geschichte ein.

Fortsetzung folgt…