Nun kam der große Moment für Moses, der zugleich aber nicht mehr als ein Trostpreis war. Er durfte von einem Berg aus über den Jordan ins Land Kanaan schauen. Nur dieser Fluss trennte ihn vom endgültigen Ziel einer beschwerlichen Reise, die vor vierzig Jahren in Ägypten begann und aufgrund einiger Unstimmigkeiten zwischen Gott und seinem auserwählten Volk überraschend lange gedauert hatte.

Dass Moses gerne das Land betreten hätte, hatte er Gott ja schon früher mitgeteilt und wurde dafür so barsch zurechtgewiesen, dass er sich weitere solche Bemerkungen verkniff. Dabei ist die Frage berechtigt, ob der HERR an dieser Stelle nicht etwas zu engherzig mit seinem wichtigsten menschlichen Vertrauten umging, mit dem er seit Jahrzehnten ein so enges Vertrauensverhältnis pflegte, wie er es zuvor und auch danach nie mehr zu einem einzelnen Sterblichen haben sollte. Wovon auch die dutzenden Nächte unter dem Sternenzelt zeugten, die sie oben auf dem Berg Sinai verbracht hatten. Trotzdem hatte eine Kleinigkeit gereicht, damit Gott Moses unversöhnlich aus Kanaan ausschloss.

Was war vorgefallen? Während der Reise hätte Moses einen bestimmten Felsen bitten sollen, Wasser zu spenden. Doch er sprach ihn nicht an, sondern klopfte stattdessen zweimal mit dem Stab gegen ihn. Aus dem Felsen sprudelte zwar auch dafür Wasser und das Volk war glücklich, doch für Gott handelte es sich um einen unentschuldbaren Glaubenszweifel. Sprechen ist schließlich nicht klopfen und klopfen ist nicht sprechen. Dieser Vorfall wog für Gott offenbar schwerer als vierzig Jahre Loyalität.

Der HERR dichtet ein Protestlied

Gott sah aber zugleich mit Sorge auf die Zeit nach dem Tode Mose, der unmittelbar bevorstand. Er war sich sicher – und in seinem Fall heißt das was -, dass das Volk nach dem Ableben ihres charismatischen Anführers  und dem Einzug in Kanaan  wieder einmal vom wahren Glauben abfallen wird. Das war schon einige Male passiert, aber Gott hatte nun eine neue Strategie dagegen entwickelt: Er ging unter die Dichter und schrieb ein Lied, das vor dem Glaubensabfall warnte. Quasi ein Protestlied.

Die Idee dahinter, eine Mischung aus schwarzer Pädagogik und Misstrauensvotum in Liedform, war die, dass die Israeliten das Gedicht auswendig zu lernen hatten. Wenn sie dann nämlich wirklich vom Glauben abfallen sollten und unter alle anderen Völker zerstreut werden, wäre ihnen immer klar, dass sie selbst die Schuld daran trugen. Schließlich gab es dieses Gedicht, das den Ruhm ihres Gottes pries und was er ihnen alles Gutes getan hatte, während sie ihn heimtückisch mit irgendwelchen Götzen hintergingen.

In seinem Lied nannte sich Gott „Fels“, dabei hatte ihn nicht mal Moses jemals so genannt. Warum auch, Gott trat ja nie als Sediment auf, sondern vor allem als Feuer- oder Wolkensäule, weswegen „Feuer“ oder „Wolke“ naheliegender gewesen wären. Aber er war offenbar gewillt, sich einen neuen Namen zu verpassen und so nutzte er das Lied, um sich als Felsen zu etablieren. Der Text zählte auf, was er so alles für die Israeliten getan hatte und wie er ihnen auch jetzt half und wie er auch weiterhin für sie da sein würde, doch es enthielt auch einige wüste Publikumsbeschimpfungen.

Es gibt keinen Gott außer Gott, stellt Gott klar

Etwa, wenn er ebenfalls mit Blick auf die Israeliten feststellte: „Du dummes verblendetes Volk“ oder auch „diesem Volk fehlt es an Rat, ihm mangelt es an Verstand.“ Doch er nutzte die Verse auch, um potenzielle Feinde der Israeliten zu warnen, zu denen ihm einfiel: „Ihr Weinstock ist von dem Weinstock Sodoms/ vom Todesacker Gomorras./ Ihre Trauben sind giftige Trauben/ und tragen bittere Beeren./ Ihr Wein ist Schlangengift / und Gift von ekligen Ottern.“

Mit dem Verweis auf Sodom und Gomorra, und damit der ethisch sehr umstrittenen Vernichtung zweiter Städte, wurden unverblümt Warnungen in den Raum gestellt. Wer den Israeliten etwas antue, dem blühe das gleiche Schicksal wie den Bewohnern dieser Orte.

Gott nahm sich auch einige Strophen lang Zeit für eine ebenso ungeschönte wie eitle Selbstbeschreibung: „Ich bin es, nur ich, / und es gibt keinen Gott neben mir / Ich bin es, der tötet und der lebendig macht. / Ich habe verwundet; nur ich werde heilen. / Niemand kann retten aus meiner Hand“ Dieses Lied also, das die enge Verbindung Gottes zu den Israeliten zum Thema hatte, war mit das Letzte, was Moses in dieser Welt noch an das Volk weiterreichte. Für ihn sollten die Tage auf Erden bald gezählt sein.

Fortsetzung folgt…