Jede Berufsgruppe kennt spezielle Formen der Anerkennung. Bei Detektiven ist es die Zahl der erfolgreich gelösten Fälle, bei Viehzüchtern ein besonders gelungener Stier und bei Lehrern besonders erfolgreiche Schüler. In der Prophetie wiederum ist die harte Währung natürlich eine Voraussage, die eingetroffen ist. Wenn man zum Beispiel den Untergang Jerusalems und des Tempels korrekt angekündigt hat, dürfte das großen Eindruck gemacht haben. Genau das ist dem Propheten Micha gelungen und tatsächlich zollte ihm mit dem Propheten Jeremia einer der berühmtesten von allen dafür Respekt.

Mit dessen Mentor Jesaja verband Micha wiederum die Eigenheit, nackt zu predigen, auch wenn nicht klar ist, wie oft und lange er so vor die Menschen trat. Immerhin ruft er an einer Stelle aus, dass er „barfuß und nackt“ umhergeht – Jesaja tat es übrigens drei Jahre am Stück. Ansonsten nutzt Gott Micha im Wesentlichen dazu, sowohl Groll als auch Hoffnung unters Volk zu tragen.

In den grollenden Episoden lässt er Micha das Volk wissen, dass Gott die Berge schmelzen wird und die Städte zu Trümmerhaufen macht. Außerdem hält er die weltlichen und religiösen Herrscher der beiden jüdischen Königreiche für moralisch verdorben und entweder im tatsächlichen oder übertragenen Sinne für Menschenfresser: „Sie haben das Fleisch meines Volkes gefressen / und ihnen die Haut abgezogen / und ihre Knochen zerhackt.“ Auch den Städten gegenüber empfindet er nur Abscheu, was sich auch in einer ebenso unappetitlichen wie peinigenden Strafen widerspiegelt: „Du wirst essen und nicht satt werden – und dein Kot bleibt in dir.“ (Wann und warum er überhaupt einen Verdauungstrakt erschuf, wird an keiner Stelle der Bibel und schon gar nicht im Rahmen der Schöpfungsgeschichte erwähnt.)

Bevor er mit dieser und anderer Strafen droht, macht er etwas Außergewöhnliches und nennt neben Moses und Aaron auch Mirjam als eine der Personen, die den Auszug aus Ägypten anführten. Normalerweise wird sie erstaunlich konsequent übergangen und eigentlich nur zwei Mal erwähnt, und das nicht unbedingt in ihren schillerndsten Momenten. Im einen lehnte sie sich erfolglos gegen Moses auf und im anderen starb sie. Von daher ist es eine überraschende Würdigung, dass Gott sie erwähnt.

Prophet Micha macht die gleiche Erfahrung, wie andere Propheten seiner Zeit. Dass Gott nach übelsten Beschimpfungen oft erstaunlich versöhnlich Töne anstimmte, was vermutlich die Glaubwürdigkeit der Propheten im Volk oft auf eine harte Probe gestellt haben dürfte. Jedenfalls ist es nicht sofort verständlich, wie Gott einerseits die Juden heimsuchen will, bis sie fliehen und er ihre Städte zerstört hat, nur um an anderer Stelle von einer harmonischen Zukunft mit seinem auserwählten Volk zu sprechen und Micha verkünden zu lassen: „Nicht hält er ewig fest an seinem Zorn, / denn er hat Wohlgefallen daran, gütig zu sein. Er wird sich unser wieder erbarmen, / er wird niedertreten unsere Schuld.“ Dass Verdammung und Versöhnung oft ohne Übergang hintereinander folgen, dürfte die Arbeit von Micha und den anderen Propheten nicht gerade erleichtert haben.

Micha kommt aber noch aus einem anderen Grund eine besondere Bedeutung zu. Er weissagte etwas, was aus Sicht der ersten Christen mit Jesus in Erfüllung ging, nämlich die Ankunft des Messias. Es heißt: „Aber du, Bethlehem-Efrata, / bist zwar klein unter den Sippen Judas, aus dir wird mir einer hervorgehen, / der über Israel herrschen soll. Seine Ursprünge liegen in ferner Vorzeit, / in längst vergangenen Tagen.“ Letztlich würde dieser Messias eine Reihe von Dingen tun, bevor er sein Ziel erreicht hat, das durchaus ambitioniert ist: „Und es wird Frieden sein.“

(Fortsetzung folgt…)