In der anderen Geschichte, die sich um den Glauben dreht, ging es um einen Drachen. Offenbar gab es in Babylon eines dieser Wesen, die zumeist als Bewohner alter Fabeln gelten, und wurde ebenso inbrünstig verehrt wie Bel. „Von diesem Drachen kannst du nicht sagen, er sei kein lebender Gott. Also fall vor ihm nieder!“, verlangte der König – Daniel aber bat stattdessen um die Erlaubnis, dieses Ungetüm töten zu dürfen, wozu er weder Schwert noch Keule bräuchte. Er bekam diese Erlaubnis und schmolz Pech, Talg und Haare zu einer Art Wurfgeschoss zusammen, das er dem Drachen ins Maul warf, der daraufhin nicht etwa langsam an einer Vergiftung zugrunde ging, sondern erstaunlicherweise fast sofort „zerbarst“. Man kann also nicht behaupten, dass Daniel die Bestie in einem heldenhaften Kampf niedergerungen hätte – viel eher erinnert seine Strategie an die verschrobener Menschen, die Hunden heimlich Giftköder zu fressen geben. Daniel war es egal und er ließ es sich im Augenblick seines Triumphs auch nicht nehmen, auf Größe und Bescheidenheit zu verzichten, weswegen er jubelte „Seht, was ihr für Götter verehrt!“
Dieses Ereignis hatte jedoch weitreichende Folgen, die den König beinahe gestürzt hätten. Den Babyloniern ging das alles zu weit. Sie hatten schon empört mitangesehen, was Daniel mit der Bel-Figur und dem dazugehörigen Heiligtum angestellt hatte. Nun mussten sie also auch noch verkraften, dass ihr Drache getötet und verhöhnt wurde. Ihre Wut richtete sich dabei gegen den Herrscher, dem sie vorwarfen, selbst Jude geworden zu sein, da er all diese Schandtaten geduldet oder sogar selbst in Auftrag gegeben hatte.
An dieser Stelle nun siegte der Überlebensinstinkt des Monarchen über seine Freundschaft zu Daniel und er lieferte ihn den wütenden Menschen aus, um so seine Macht zu retten. Für Daniel ging es an einen Ort, den er schon kannte, denn das Volk warf ihn erneut in die Löwengrube. Allerdings dauerte sein Aufenthalt dieses Mal länger, nämlich sieben Tage. Auch hatte er es mit wesentlich mehr Löwen zu tun, um genau zu sein, mit sieben. Damit sie ihre Beute auch wirklich fressen, wurden sie nicht mehr mit je zwei bedauernswerten Schafen und Menschen gefüttert, die ansonsten täglich in die Grube gestoßen wurden.
Doch Daniel bewegte sich zwischen den Raubtieren wie ein alter, wenn auch etwas sonderbarer, Freund. Wobei er nach einigen Tagen auf eine äußert komplizierte Art sogar Essen und Trinken überreicht bekam. Obwohl es genug Juden in Babylon gegeben hätte, wurde Daniels erste Mahlzeit seit Tagen im fernen Juda zubereitet, und zwar vom Propheten Habakuk, der davon selbst überrascht wurde. Er hatte etwa zubereitet, was für seine Arbeiter auf dem Feld bestimmt war, zu denen er auch gerade lief, als ihn der Engel des HERRN anwies: „Bring das Essen, das du in der Hand hast, dem Daniel nach Babylon in die Löwengrube.“
Woraufhin Habakuk zwei bedenkenswerte Einwände hatte: Zum einen, dass er noch nie im fernen Babylon war und zum anderen, dass er entsprechend, die erwähnte Grube nicht kennen würde. Den Engel konnte das nicht beeindrucken und so ließ er Taten folgen. Er griff Habakuk an den Haaren, woraufhin ein Flug vom Feld in Juda an die Grube in Babylon folgte. Nachdem er Daniel die Mahlzeit hinabgereicht hatte, wurde der Prophet vom Engel auch schon wieder zurück nach Juda gebracht. Wobei nicht überliefert ist, ob seine Arbeiter wütend wurden, als ihnen der gerade weit gereiste Habakuk erklären musste, dass es mit dem erhofften Mittagessen nun doch nichts wird. Dass er es im Rahmen der vermutlich ersten Express-Lieferung überhaupt im fernen Babel abgeliefert hatte, wird er wohl gar nicht erst erwähnt haben. Man hätte es ihm ja ohnehin nicht geglaubt. Nicht überliefert ist übrigens, warum er Daniel zwar das Essen in die Grube reichte, aber nicht auf die Idee kam, den Gefangenen aus seiner misslichen Lage zu befreien.
Doch sollte Daniels Leidenszeit ohnehin bald zu ihrem Abschluss kommen, denn nach einer Woche kam der untröstliche König zur Grube, um von seinem Freund Abschied zu nehmen. Als er feststellen konnte, dass von diesem keineswegs nur ein paar abgenagte Knochen übrig waren, sondern der ganze Mann unversehrt zwischen den Raubtieren saß, hielt er das für ein ausreichendes Zeichen der Götter und ließ Daniel herausziehen. Die Menschen aber, die ihn in die Grube geworfen hatten, wurden nun auf Anweisung des Herrschers hin selbst hineingestoßen und hatten wesentlich weniger Glück mit den Löwen, denn sie wurden „sofort aufgefressen.“
Diese Anekdoten zeigen, dass Daniel zu unrecht vor allem mit der Löwengrube in Verbindung gebracht wird, obwohl er immerhin auch Daniel der Drachentöter war. Letztlich steht er aber ohnehin ein wenig im Schatten anderer Persönlichkeiten der israelitischen Geschichte, wie etwa in dem von Josef, dem in der (ägyptischen) Ferne ebenfalls eine große Laufbahn gelungen war.
(Fortsetzung folgt…)