Für Daniel ging es beruflich eigentlich die ganze Zeit bergauf. Auch unter dem neuen König Darius schien es so weiterzugehen. Er gehörte zu dessen führenden Beamten und Darius plante sogar, ihn zum Allerwichtigsten von allen zu machen. Es sollte niemanden erstaunen, dass sich augenblicklich eine neidische Allianz aus Konkurrenten zusammentat, um diese Ernennung noch zu verhindern, indem sie Daniel Vergehen nachzuweisen versuchte. Fehler in der Amtsführung, Korruption, Verschwendung oder gar heimliche Putschpläne?

Doch all das brachte nicht die erwünschten Ergebnisse, weswegen der namenlose Bund an Neidern entschied, Daniels Religion als Schwachstelle auszumachen. Darum „stürmten die obersten Beamten und Statthalter zum König hinein“, um dem verblüfften Mann aus heiterem Himmel ein Dekret vorzuschlagen, laut dem dreißig Tage lang nur an ihn Bitten gerichtet werden dürfen, nicht an andere Menschen. Und nicht an Götter.

Vermutlich hielt der König diesen Vorstoß für den etwas übereifrigen Versuch seiner Beamten, ihm zu schmeicheln und so stimmte er zu, ohne weiter darüber nachzudenken. Dass es sich dabei auch um ein bizarres Sozialexperiment handelte, da im ganzen Reich für dreißig Tage niemand jemanden nach etwas bitten durfte, wird das Verständnis im Volk nicht gesteigert haben, dem somit von durchtriebenen Spitzenbeamten das Leben unnötig schwer gemacht wurde.

Vermutlich gab es in der Weltgeschichte weder danach noch davor einen zweiten Fall, in dem eine so grundlegende soziale Handlung, wie das Äußern einer Bitte, unter Strafe gestellt wurde. Da es aber niemandem der Verantwortlichen um die Auswirkungen eines solchen Verbots auf das Miteinander ging, liegen auch keinerlei Aufzeichnungen darüber vor.

Zwar erfuhr auch Daniel von diesem Verbot, doch es schien ihn nicht weiter zu beeindrucken. Jedenfalls ließ er sich nicht davon abhalten, wie jeden Tag zu seinem Gott zu beten. Und so kniete er in seinem Obergeschoss am Fenster in Richtung Jerusalem, als die Türe aufgerissen wurde und seine Neider ihn bei dieser verbotenen Handlung erwischten. Sofort eilten sie zum König und berichteten vom illegalen Gebet, das sie gerade beobachtet hätten. Darius gefiel diese Entwicklung überhaupt nicht, da es sich um seinen fähigsten Mann handelte, der ein Verbot übergangen hatte, das ihm selbst eigentlich vollkommen egal war.

Nun bestand das Problem nicht nur darin, Daniel zu bestrafen, sondern darin, dass die Art der Bestrafung schon feststand. Wer das Dekret verletzte, würde in eine Löwengrube gestoßen werden. „Bis Sonnenuntergang“, dachte der König fieberhaft nach, wie er eine weniger tödliche Strafe oder einen kompletten Verzicht darauf begründen könnte, doch seine Spitzenbeamten wiesen darauf hin, dass Dekrete des Monarchen unabänderlich wären. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als das Urteil zu sprechen und Daniel zur Löwengrube zu führen.

(Fortsetzung folgt…)