Unverhofft folgt auf die Verwünschungen aller Art aber auch hoffnungsvolle Aussichten, die den „Weg in die Freiheit“ versprechen, der den Gerechten offensteht. Darunter versteht Gott in erster Linie jene, die seine Gebote halten, wobei er es ihnen schon hoch anrechnet, wenn sie nicht „die Frau ihres Nächsten schänden“, was eigentlich keine sonderlich heroische Leistung sein sollte. Außerdem stellt er klar, dass ein einziger wirklicher Fehltritt im Leben ausreicht, damit alle guten Taten dahinter verblassen. „Keine seiner gerechten Taten wird ihm angerechnet. Wegen seiner Treulosigkeit, die er verübt, und wegen der Sünde, die er begangen hat, ihretwegen muss er sterben.“

Umgekehrt ist aber auch ein Leben in Sünde nicht unrettbar verloren, wenn sich der Betreffende nur ehrlich verändert und sich geläutert zeigt. „Wenn er alle seine Vergehen, die er verübt hat, einsieht und umkehrt, wird er bestimmt am Leben bleiben. Er wird nicht sterben.“ Der Gerechte darf sich also nicht in Sicherheit wiegen und dem Sünder bleibt immer die Möglichkeit, sich zu bessern. Wobei Gott insgesamt dem geläuterten Sünder mehr Möglichkeiten lässt als dem gefallenen Gerechten, denn dieser fällt dadurch nicht etwa in die Kategorie Sünder (was ihm den Wiederaufstieg ermöglichen würde), sondern muss sterben. Außerdem wird erneut eine Regelung betont, die schon zu Moses Zeiten galt und als ausgesprochen modern gelten darf, nur leider so regelmäßig von Gott abwärts von allen missachtet wurde, dass sie in Wahrheit nie viel mehr als eine Art Absichtserklärung darstellte.

Im Zusammenhang mit der Wut Gottes auf sein Volk kommen auch Details über die Zeit in Ägypten ans Licht, die bisher nie erwähnt wurden. Dass die Israeliten damals schon eine Schwäche dafür zeigten, Götzen anzubeten, was sie mit Inbrunst und zum großen Verdruss Gottes mit denen der Ägypter taten. Nur um sich und seinem Volk eine globale Blamage „bei den anderen Völkern“ zu ersparen, bestrafte er die Israeliten nicht im Land der Pharaonen „für ihre Widerspenstigkeit“. Allerdings verändert diese Vorgeschichte den Blick auf das Goldene Kalb am Berg Sinai, denn auf gewisse Weise war das schlicht die Fortsetzung alter Lasterhaftigkeit und keine spontane Neuerung, nachdem bis dahin alle treu zum Bund mit dem HERRN gestanden hatten. Auch nach diesem Affront wollte Gott die Israeliten vernichten, doch er handelte „um meines Namens Willen“ anders und ließ sie weiterleben. Was zeigt, dass auch Gott sein Image wichtig ist und er außerdem den tapferen Einspruch des Moses gegen sämtlichen Frustabbau, der von einem Massenmord schwer zu unterscheiden wäre, zu Gunsten der Israeliten berücksichtigte.

Stattdessen entschied er sich für eine sanftere biologische Strafe und ließ das Volk so lange umherwandern, bis die „Generation Goldenes Lamm“ verstorben war. Erst danach konnte das Land von Milch und Honig betreten werden. Doch Gott musste feststellen, dass die neue Generation ebenfalls Götzendienst betrieb, zwar nicht mehr in Ägypten oder am Berg Sinai, dafür aber auf den Hügeln Kanaans, wo sie „ihre ärgerlichen Gaben“ auf Altäre legten, wie der HERR sich empört. Voller Verachtung erinnert er auch daran, dass die Israeliten wie alle Völker sein wollten, um „Holz und Stein zu dienen“, womit erneut der Götzendienst gemeint ist. Da Gott sich durch das Versprechen, dass es nie mehr eine Sintflut geben wird, selbst Fesseln angelegt hatte und er zugleich noch über die schlechten Erfahrungen aus Ägypten nachdachte, wollte er eine solche Situation für die Zukunft unbedingt vermeiden.

Darum sah er im Babylonischen Exil für die glaubensschwache Elite der Israeliten eine passende Gelegenheit, jene Bürger loszuwerden, die sich schon längst vom Bund entfernt haben. „Nichts soll bleiben, wie es ist“, verkündet der HERR und klingt wie ein Revolutionär, wenn er ruft: „Umsturz, Umsturz, Umsturz ist es, was ich wirke!“ Auch seine Radikalität erinnert an die eines Revolutionärs, der endlich seine Zeit gekommen sieht und nun umso radikaler mit denen aufräumen will, die ihm ein Dorn im Auge sind. So sollten Frevler allesamt getötet werden, denn „jetzt ist die Zeit der endgültigen Abrechnungen gekommen“.

So in seine blutigen Reformen vertieft, kommt auch sein treuer Prophet Ezechiel nicht ungeschoren davon. Auch wenn es in seinem Fall keine Strafe, sondern ein Beispiel für die anderen Menschen sein sollte, was zwar an der Motivation der Bestrafung etwas änderte, nicht aber an den tragischen Folgen für Ezechiel. „Menschensohn“, sprach Gott ihn an, „siehe, ich nehme dir die Freude deiner Augen durch einen jähen Tod. Doch du sollst weder klagen noch weinen. Keine Träne darfst du vergießen.“ Kaum hatte er das verkündet, starb auch schon die Frau des Propheten. Doch Ezechiel sollte nun in keiner Weise die üblichen Trauerrituale vollziehen. „Keine Totentrauer sollst du halten“, erklärte der HERR nach dieser brutalen Maßnahme.

Da Ezechiels sonderbares Verhalten allen auffiel, wurde er schließlich gefragt, was das alles zu bedeuten hat, woraufhin er das Volk wissen ließ: „So spricht Gott, der Herr: Siehe, ich werde mein Heiligtum entweihen, euren Stolz und eure Macht, die Freude eurer Augen und die Sehnsucht eurer Seele.“ Seine Rede dauerte noch länger und führte zum Ergebnis, dass das ganze Volk seine Liebsten verlieren wird, wie Ezechiel und dann endlich ein jeder erkennen werde, dass Gott der HERR sei. Ezechiel hatte das auch an keinem der Tage bestritten, an denen er noch eine Frau hatte, was sie aber nicht vor dem tödlichen Schicksal rettete, für ein möglichst bedrohliches Gleichnis sterben zu müssen.

(Fortsetzung folgt…)