Aber wie so oft musste Gott mit ansehen, wie sich seine hohen Erwartungen nicht erfüllten. Bald darauf findet er schon ganz andere Worte für Jerusalem: „Doch, dann hast du dich auf deine Schönheit verlassen, du hurtest in deinem Ruhm und hast mit deiner Hurerei jeden überschüttet, der vorbeiging, ihm wurde sie zuteil.“ Im weiteren Verlauf gibt es Vorwürfe, dass sie „die Beine gespreizt hat für jeden“ und in einem besonders ordinären Teil seiner Rede, spricht Gott sogar über die Ägypter, „deine Nachbarn mit dem großen Glied“ und hält Jerusalem vor, mit wem sie so alles „gehurt“ habe: „Dann hurtest du mit den Assyrern, weil du noch nicht genug hattest. Du hurtest mit ihnen, doch auch dann hattest du noch nicht genug. Du hast deine Hurerei ausgeweitet bis zum Land der Krämer, nach Chaldäa; doch auch damit hattest du noch nicht genug.“

Er warf ihr sogar vor, sich aus dem Gold und Silber, das er ihr geschenkt hatte, „männliche Figuren gemacht zu haben, um mit ihnen zu huren.“ Womit er nicht nur die Selbstbefriedigung mit Hurerei gleichsetzt, sondern zugleich über die vielleicht wertvollsten Dildos der Weltgeschichte spricht. All das bringt ihn dazu, Jerusalem zur „selbstherrlichen Hure“ zu erklären, wobei er kaum genug davon bekommt, das Wort Hure und alle möglichen Variationen davon zu benutzen.

Was Gott ebenfalls aufregt, war Folgendes: „Du warst keine gewöhnliche Hure, denn du hast es verschmäht, dich bezahlen zu lassen. Bei deiner Hurerei war es umgekehrt wie bei anderen Frauen: Dir hurte niemand nach; du hast selbst bezahlt, wurdest aber nicht bezahlt.“ Was Gott hier polternd als Inbegriff von Sünde und Ehrlosigkeit hinstellt, kann mit guten Gründen auch ganz anders gesehen werden. Und zwar als Akt weiblicher Emanzipation, denn Jerusalem bezahlt die Männer für die Intimitäten, nicht umgekehrt. Dadurch werden diese zu den Huren und Jerusalem zum Freier.

Aber Gott sah es nicht so und steigerte sich in einen wahren Bestrafungsmarathon hinein, bei dem eine Züchtigung schlimmer war als die nächste und diese öffentliche Demütigung sogar noch die harmloseste bleiben sollte, bei der Gott alle ihre Liebhaber um sie versammelt: „Und dann enthülle ich ihnen deine Blöße, damit sie deine Blöße unverhüllt sehen.“ Auch soll sie nach den Gesetzen für Ehebrecherinnen und Mörderinnen verurteilt und gesteinigt werden, bevor ihr nackter Körper mit dem Schwert in Stücke geschlagen wird.

Gott scheut sich nicht einmal, den Vergleich mit der Stadt Sodom zu ziehen, dem Inbegriff von Sünde und Verderbtheit, und dabei erstaunlicherweise Jerusalem für den schlimmeren Ort zu halten: „Du lässt Sodom gerecht erscheinen durch all deine Gräueltaten, die du begangen hast.“ Wobei er es unter anderem damit begründet: „Ein jeder hat Abscheuliches mit der Frau seines Nächsten getrieben; ein jeder hat durch Schandtat seine Schwiegertochter unrein gemacht, ein jeder in dir hat seine Schwester, die Tochter seines Vaters, missbraucht.“ Das sind tatsächlich abscheuliche Taten, die Gott aber nicht davon abhielten, seinerseits Jerusalem mit sexuellem Missbrauch durch ihre Liebhaber zu drohen.

An einer anderen Stelle nennt er Jerusalem eine „Blutstadt“ und warf ihr vor, dass in ihr Vater und Mutter verachtet und Waise und Witwen unterdrückt werden. Wirklich überraschend ist dabei der Vorwurf, dass „in deiner Mitte Fremde“ ausgebeutet werden, was Gott bei aller Konzentration auf sein auserwähltes Volk dann immerhin so schlimm findet, dass er es in eine Auflistung der größten Sünden aufnimmt. Auch sonst ist er nicht nur wegen der Hurerei erzürnt, sondern auch über die grassierende Falschheit, denn „sie haben entweiht, was mir heilig ist“ und vor allem: „Sie haben die Elenden und Armen unterdrückt und den Fremden erpresst gegen jeden Rechtsgrund.“ Aus all diesen kleineren und größeren Vergehen heraus wuchs der Zorn Gottes immer weiter an, bevor er schließlich ankündigte: „Ich vernichte sie im Feuer meines Zorns!“

(Fortsetzung folgt…)