Tatsächlich hieß es über die Worte des Ezechiel gleichgültig: „Die Vision, die er schaut, gilt für spätere Tage, er weissagt für ferne Zeiten.“ Deutlicher hätte nicht formuliert werden können, dass seine Warnungen nicht ernstgenommen werden. Auch dem HERRN entging das nicht, weswegen er tobte und Ezechiel einschärfte: „Keines meiner Worte lässt lange auf sich warten. Das Wort, das ich rede, geschieht!“ Womit er genau der einen Person seine Entschlossenheit versicherte, die daran ohnehin keinen Zweifel hatte. Doch nun ging Gott gegen jene vor, die ständig die Gefahr herunterspielten, vor der Ezechiel warnte, und die sogar dreist genug waren, selbst im Namen Gottes zu predigen. Darum ließ er Ezechiel gegen diese „Schakale“ wettern: „Weh den törichten Propheten, die nur ihrem eigenen Geist folgen und nichts geschaut haben!“, verkündete er und wurde auch direkt deutlicher, auf welche Weise sich dieses „Weh“ zeigen wird: „Sie gehören nicht in die Gemeinschaft meines Volkes und sollen nicht im Verzeichnis des Hauses Israel verzeichnet sein; sie werden nicht in das Land Israel kommen.“ Die falschen Propheten würden also als Ausgestoßene in der Fremde sterben und damit eine doppelte Bestrafung erhalten.
Im gleichen Rundumschlag knöpfte sich Ezechiel auch etwas überraschend „die Frauen“ vor, „die Zauberbinden für alle Handgelenke nähen und Schleier für Köpfe jeder Größe anfertigen, um damit auf Menschenjagd zu gehen!“ Das entscheidende Wort nannte er dabei nicht, aber es lautet Hexe oder Zauberin und ihnen rief er zu: „Meint ihr, ihr könntet in meinem Volk Menschen jagen und Menschen zu eurem Vorteil Leben zusprechen?“ Es bleibt unklar, um was für Menschenjagten es sich genau handeln soll, aber offenbar lauten die Vorwürfe: „Ihr habt Menschen den Tod zugesprochen, die nicht sterben sollten, und Menschen das Leben zugesprochen, die nicht am Leben bleiben sollten“, wobei eine besondere Schwere der Schuld festgestellt wird, da diese Hexen den Umstand ausgenutzt hätten, dass das auserwählte Volk „auf Lügen hört.“ Von daher stellte Gott über sein Sprachrohr Ezechiel in Aussicht, sein leicht verführbares Volk aus ihrer Hand zu befreien.
Gottes Entschlossenheit zeigte sich auch darin, dass er sie selbst immer wieder betonte. Er würde zwar gerechte Menschen wie Noah, Daniel und Hiob am Leben lassen, erklärte er, aber schon deren Kinder ohne Gnaden niedermachen, sollten diese die „Treue brechen.“ Auf diese martialische Art erteilte er jeder Hoffnung auf einen möglichen Familienbonus eine Abfuhr. Seine Bereitschaft, Probleme auch mit Gewalt zu lösen, führte sogar zu einer Erweiterung seiner bisher genutzten Tötungsmaßnahmen, die aus Schwert, Hunger und Pest bestanden. Nun kamen auch noch „wilde Tiere“ als blutige Ergänzung hinzu und schlossen eine Lücke des Grauens, worüber sich vermutlich niemand freuen konnte.
Gott nimmt sich nun Jerusalem vor, als sei sie keine Stadt, sondern ein Mensch. Eine Frau, um genau zu sein. Es folgt eine Wutrede, die sich immer mehr steigert und in ihren dunkelsten Momenten in regelrechten Missbrauchs-Forderungen gipfelt. Dass Städte als Menschen angesprochen werden, ist dabei eine nicht unübliche Kunstform, doch Gott treibt sie auf die Spitze, indem er einen Amoriter als Jerusalems Vater und eine Hetiterin als ihre Mutter angibt und von einer Nabelschnur spricht, die nie abgeschnitten wurde und davon, dass Jerusalem nach der Geburt zum Sterben „auf das freie Feld hingeworfen wurde“, weil es verabscheut wurde. Gott selbst habe sie gerettet. „Wie eine Blume auf dem Feld ließ ich dich wachsen“, fährt er fort, wobei die Stadt-Frau-Metapher kompromisslos durchgezogen wird, als er hinzufügt: „deine Brüste wurden fest, dein Haar begann zu sprießen.“ Als er bemerkte, dass die Zeit Jerusalems nun beginnen würde, machte er das, was er so gerne und doch oft mit so unbefriedigenden Ergebnissen macht: einen Bund. „Ich kleidete dich in bunte Gewänder, zog dir Schuhe aus Tahasch-Leder an, band dir Byssus um und hüllte dich in Seide.“ Er legte ihr auch Schmuck an und gab sich auch ansonsten alle Mühe, dass Jerusalem eine beeindruckende Erscheinung wurde.
(Fortsetzung folgt…)