Im weiteren Verlauf der Vision kommt es zu einer Irritation, als Ezechiel erneut auf die Wesen mit den Köpfen traf, die in allen vier Himmelsrichtungen je ein Gesicht haben. Als ihm Gott erstmals am Fluss im fernen Babylon erschien, hatten sie jeweils das Gesicht eines Menschen, eines Löwen, eines Stiers und eines Adlers. Aus keinem näher genannten Grund hatte das Stiergesicht seinen Platz jetzt eingebüßt, während dafür ein Kerubgesicht nachgerückt war.
Warum es zu diesem Wechsel kam, wird nicht erläutert und es ist unklar, ob er Ezechiel überhaupt aufgefallen ist. Wenn doch, hat er ihn jedenfalls nicht erwähnt. Stattdessen berichtet er darüber, von Gott mitten in ein unversöhnliches Rededuell mit einigen der „führenden Männer des Volkes“ am Tempel geführt worden zu sein. Da es sich um eine Vision handelte, konnte die soeben von hammerschwingenden Todesbringern entvölkerte Stadt nun schon wieder bewohnt sein. Ezechiel seinerseits warf diesen Menschen ihre Verlogenheit und ihre Brutalität vor und droht ihnen mit weiteren Strafen Gottes, was ihn womöglich doch belastete, denn „da fiel ich nieder auf mein Gesicht und schrie laut auf.“
Aber der HERR ließ nun auch erstmals in dieser Vision so etwas wie Optimismus zu und sprach davon, den Juden „das Herz aus Stein“ durch eines aus „Fleisch“ zu ersetzen, sobald sie dem Götzendienst entsagen, wofür er auch schon positive Anzeichen gibt. Zwar nicht im Sündenpfuhl Jerusalem, aber immerhin unter den Verbannten in Babylon. Bei ihnen, so sieht es der HERR, sei er „ihnen ein wenig zu einem Heiligtum geworden“ und das bei Familien, die ihn schon seit Generationen nur noch als eine Erscheinung grauer Vorzeit gesehen hatten. Eine Gestalt, die etwas mit dem mystischen Auszug aus Ägypten zu tun hatte, bei dem man aber auch schon nicht mehr genau wusste, ob er überhaupt geschehen war.
Auch solche Familien erinnerten sich nun des Bundes und fingen wieder an, nach dessen Regeln zu leben. Zwar noch nicht alle, aber immerhin wieder mehr als es vor der Vertreibung waren. Danach ging diese Vision zu Ende und Ezechiel fand sich wieder in Babel, von wo aus die Reise nach Jerusalem begonnen hatte und er fing an, unter den anderen Exilanten über seine übernatürliche Reise, seine Erlebnisse und Gottes Worte zu sprechen.
So wirklich beeindrucken konnte Ezechiel seine Mit-Verschleppten dabei aber nicht, weswegen auch Gottes Hoffnung auf eine baldige Rückkehr zum Glauben einen Dämpfer erhielt und schon bald ein erneuter Weckruf des Propheten nötig wurde. Also sollte er nun in einem Art Laien-Theaterstück seine Sachen packen und vor den Augen aller anderen „in die Verbannung“ gehen, bevor er auch noch sein Gesicht zu verhüllen hatte. All das diente nur dem Zweck, dass er gefragt wird, was er da treibt, woraufhin er antworten sollte: „Ich bin ein Mahnzeichen für euch.“
Man kannte ihn ja schon als denjenigen, der über vierhundert Tage auf dem Boden gelegen hatte, weswegen sein jetziges Vorhaben offenbar weniger Aufsehen erregte, als Ezechiel gehofft hatte. Auch, dass er sein Brot „mit Zittern“ und sein Wasser „mit Angst und Entsetzen“ zu sich nahm, um dem Volk die Botschaft zu übermitteln, dass es „sein Brot mit Angst essen und ihr Wasser mit Schaudern trinken“ werde, schien dieses nicht so tief zu beeindrucken wie gehofft. Vielleicht hätte es gereicht, wenn der Prophet diese Warnung ganz einfach mit bebender Stimme in die Runde gerufen hätte.
(Fortsetzung folgt…)