Kurzum: Gott hatte wieder einmal einen besonders ausgefallenen Auftritt gewählt, so wie er am Berg Sinai beispielsweise in einer Gewitterwolke vor dem Volk erschienen war. Damals wurden auch von irgendwo Hörner geblasen, was insgesamt einen so verstörenden Eindruck bei den Israeliten hinterließ, dass diese sich fluchtartig vom Berg entfernt hatten. Auch jetzt bestand die Gefahr, dass der überwältigende und zugleich unheimliche Auftritt, den er Ezechiel zumutete, bei diesem Panik auslöst und ihn fliehen lässt. Immerhin blickte dieser Sterbliche auf ein Wesen mit sechszehn Gesichtern, das in einem brennenden Sturm stand, während über ihm ein Thron erstrahlte, über dem eine Gestalt zu erkennen war, die von einem regenbogenhaften Schein umgeben wurde. So was sieht ein Mensch nicht jeden Tag. Normalerweise sogar an keinem Tag.
Doch Ezechiel blieb. Allerdings scheint ihn das alles sehr wohl mitgenommen zu haben, denn er sank zu Boden, als sich dieses Schauspiel am Himmel abspielte, weswegen Gott ihn erst wieder „auf die Füße“ stellte, bevor er das Wort an ihn richtete. Damit nahm er Ezechiel zugleich in den exklusiven Kreis jener Menschen auf, die er als Art Assistenten seiner Weltplanungen ausgewählt hatte. Und so vernahm Ezechiel die Worte des HERRN, die eventuell wie das „Rauschen gewaltiger Wassermassen“ klingen: „Menschensohn ich sende dich zu den Söhnen Israels“, hieß seine klare Ansage, die er um den Hinweis ergänzte, dass Ezechiels Aufgabe schon erfüllt sei, wenn er das Wort des HERRN so verbreitet, wie es der HERR will. Ob das Volk darauf hört, sei wieder etwas anderes und betreffe den Propheten nicht: „Mögen sie hören oder es lassen.“
Diese Anweisung war damit das Normalste, was Ezechiel bislang in Gegenwart dieses brennenden Sturms mitsamt seinem kunstvollen Innenleben gehört hatte, und sollte es auch erst einmal bleiben. Direkt danach nämlich überreichte Gott ihm eine Buchrolle und forderte ihn auf, sie zu essen. „Iss diese Rolle! Dann geh, rede zum Haus Israel!“, gab Gott ihm noch als Appetitanreger mit, bevor Ezechiel diese sehr trockene Speise zu sich nahm, die beidseitig beschriftet aus „Klagen, Seufzern und Weherufen“ bestand. Während Ezechiel also mit diesem besonderen Mahl beschäftigt war, gab der HERR ihm noch einen Ratschlag in Bezug auf die Israeliten mit auf den Weg: „Fürchte sie nicht und erschrick nicht vor ihrem Blick!“ Als diese Unterredung, die mehr der Einweisung in einen neuen Beruf glich, abgeschlossen war, wurde Ezechiel in die Lüfte gehoben. Zugleich entfernte sich das womöglich etwas überkomplexe Konstrukt aus Sturm, Fabelwesen und Thronen wieder, bis es nicht mehr zu sehen war.
Dass all das Ezechiel doch überfordert hatte, wird danach deutlich. Er erreichte jüdische Exilanten an einem Fluss und das erste, was er dort tat, war nicht predigen. Stattdessen hielt er fest: „Ich saß dort sieben Tage lang verstört mitten unter ihnen.“ Vermutlich musste er einfach all die Eindrücke, von denen viele für sich allein schon ausgereicht hätten, um einen einzelnen Menschen geistig zu überfordern, in Ruhe verarbeiten. Nach einer Woche vernahm er die Stimme Gottes wieder, jetzt aber ohne jedem Pomp, die ihm klarmachte, dass er den Israeliten immer die Wahrheit sagen muss. Wenn der HERR beispielsweise einem Menschen mitteilen will, dass er sterben muss, dürfe Ezechiel das nicht einfach übergehen. Sollte er sich nämlich weigern, würde die betreffende Person zwar trotzdem sterben, aber gleichzeitig „fordere ich sein Blut aus deiner Hand zurück.“
(Fortsetzung folgt…)