Nachdem die Babylonier mit reicher Beute und vielen Sklaven das Land verlassen hatten, blieb ein Stadthalter mit Namen Gedalja zurück, der praktisch von Anfang an gewarnt wurde, dass es Mordpläne gegen ihn gibt. Er nahm sie aber nicht ernst, was sich recht bald als größer Fehler seiner deswegen sehr kurzen Regentschaft erweisen sollte. Gedalja regierte nicht im zerstörten Jerusalem, sondern dem Ort Mizpa, wo ihn der Attentäter und Ex-Soldat Jischmael unter einem Vorwand aufsuchte und mit seinen zehn Mitverschwörer tötete. Wobei diesem Blutbad alle Personen zum Opfer fielen, die sich zufällig in der Nähe des Statthalters befanden, wozu auch babylonische Krieger gehörten. Einen Tag später veranstalteten sie noch ein Massaker an achtzig Männern, die „im Haus des HERRN“ beten wollten, bevor sie die Juden, die es in Mizpa noch gab, als Gefangene mitnahmen, wobei ihr Ziel das Land der Ammoniter war. Sie schafften es aber nicht rechtzeitig dorthin, sondern wurden von den Resten der judäischen Armee gestellt, die ihnen die Gefangenen wieder abnahmen.

Allerdings konnte Jischmael entkommen und mit ihm „acht Mann“, was auf subtile Weise verriet, dass zwei seiner zehn Mitstreitern gefallen waren. Allerdings dachten die befreiten Gefangenen nicht daran, nach Mizpa zurückzukehren, da sie fürchteten, von den Chaldäern dafür bestraft zu werden, dass in ihrem Ort der Statthalter ermordet worden war. Die Rechtsprechung folgte damals oft einem recht kollektiven Ansatz, der sich nicht mit Schuld oder Unschuld des Einzelnen befasste, und sich nicht selten in Form von Massenhinrichtungen zeigte. Darum machte sich die gesamte jüdische Einwohnerschaft von Mizpa auf den Weg nach Ägypten. Sie flüchten aus dem gelobten Land, um beim Pharao Frieden zu finden. Damit drehten sie die Geschichte des Auszugs aus Ägypten in ihr Gegenteil um. Vermutlich dürfte auch dem HERRN die bittere Ironie dieser erneuten Wanderung nicht entgangen sein.

Deswegen versuchte er sie auch mit Drohungen und gutem Zureden zu verhindern. Über Jeremia ließ er den Reisewilligen mitteilen: „Wenn ihr zurückkehrt und in diesem Land bleibt, so werde ich euch aufbauen und nicht niederreißen!“ Er versprach ihnen Schutz vor dem König von Babel und gab sogar zu: „Ich bereue das Unheil, das ich euch angetan habe“ und vermutlich kam Gott dem Eingeständnis eines Fehlers selten so nahe wie in diesem einen Satz. Allerdings fügte er auch hinzu, was den Leuten blüht, wenn sie trotzdem zum Pharao ziehen: „Alle, die darauf bestehen, nach Ägypten zu ziehen, um sich dort niederzulassen, werden durch Schwert, Hunger und Pest umkommen. Keiner von ihnen wird entkommen, keiner dem Unheil entrinnen.“ Damit allen klar war, wie ernst es Gott mit seiner Warnung meinte, ließ er alle wissen: „Wie sich mein Zorn und mein Grimm über die Einwohner Jerusalems ergossen hat, so wird sich mein Grimm auch über euch ergießen, wenn ihr nach Ägypten zieht.“ Und als würde es noch irgendwelche Zweifel daran geben, bringt der HERR seine Sichtweise nochmals auf den Punkt: „Zieht nicht nach Ägypten!“

Die Leute zogen nach Ägypten.

Und sie kamen bis zur Stadt Tachpanes im Nildelta, wo der Pharao lebte. Dort erging das Wort Gottes an Jeremia – der wohl gegen seinen Willen zur Mitreise gezwungen wurde –, der zum Volk sprach, dass die Tempel der ägyptischen Götter bald von Nebukadnezar verbrannt werden, der im gleichen Zusammenhang gleich das ganze Land Ägypten „entlausen“ würde.  Das Volk hörte erneut nicht auf ihn und provozierte ihn weiter, als es anfing, fremden Göttern Opfer darzubringen. Da konnte Jeremia drohen, warnen und klagen so viel er wollte, er drang nicht durch und das wurde ihm auch so gesagt: „Was das Wort betrifft, das du im Namen des HERRN gesagt hast, so hören wir nicht auf dich!“ Wobei sie immerhin eine Begründung hatten, warum sie weiterhin fremden Göttern opfern werden: „Wir werden der Himmelskönigin Räucheropfer darbringen (…) wie unsere Väter es in den Städten Judas getan haben. Damals hatten wir Brot genug; es ging uns gut und wir haben kein Unheil gesehen.“

Auf den ersten Blick klang das durchaus logisch und zeigte auch, dass der HERR dem Götzendienst viel zu lange zugesehen hatte, so dass er selbst schon eine gewisse Tradition entwickeln konnte. Jeremia erinnerte zwar die Menschen daran, dass genau diese Verirrungen im Glauben für die Katastrophe verantwortlich waren, die Gott gerade über die Juden hatte hereinbrechen lassen, doch er konnte weiterhin niemanden überzeugen. So gab es ausreichend Warnungen vor dem, was sich über den Juden Ägyptens zusammenbraut, ohne dass auf diese angemessen reagiert wurde. Oder überhaupt.

(Fortsetzung folgt…)