Er gab Ebed-Melech dreißig seiner Männer und gemeinsam zogen sie den Propheten aus der Zisterne nach oben. Warum so viele Personen an dieser Rettung beteiligt waren, lag wohl weniger an einem außerordentlich schweren Jeremias als vielmehr an der Gefahr von Gegenangriffen, die diese Rettungstat verhindern wollten. Jeremia blieb weiterhin im Hof und als Zidkija ihn das nächste Mal sprach, überging er die Frage nach dem Wohlbefinden seines Gefangenen und fragte direkt, ob es wieder neue Worte Gottes gibt. Wegen seiner Zeit in der Zisterne vorsichtig geworden, weigerte sich Jeremia erst, zu prophezeien und erklärte auch direkt, was für Sorgen ihn umtreiben: „Wenn ich es dir verkünde, lässt du mich bestimmt umbringen, und wenn ich dir einen Rat gebe, hörst du nicht auf mich.“

Doch obwohl diese Bemerkungen schon Schlimmes befürchten ließen, wollte der König immer noch wissen, was Gott zu sagen hat und versprach Jeremia, ihn vor allen Gefahren zu schützen. Und so erläuterte der Prophet die zwei Möglichkeiten, die Zidkija hatte. Die eine bestand darin, in der Stadt zu bleiben und zu warten, bis die Belagerer sie einnehmen, niederbrennen und ihn gefangen nehmen oder aber er gibt auf und geht freiwillig hinaus zu den feindlichen Truppen. Dann würde er überleben und die Stadt müsste nicht niedergebrannt werden. Doch Zidkija fürchtete sich vor den Israeliten, die schon übergelaufen waren und ihm sicherlich „übel mitspielen“ würden.

Jeremia erinnerte ihn daran, dass der HERR selbst so etwas verhindern würde, aber das schien den König nicht zu überzeugen, was für eben das fehlende Gottvertrauen sprach, das letztlich zu dieser Belagerung geführt hatte. Zum Ende der Unterredung hin musste der König noch einen Ausweg für folgendes Problem finden: Wie sollte Jeremia reagieren, wenn er von Beamten gefragt wird, was er mit dem König besprochen hat? Da Zidkija auf keinen Fall wollte, dass die Wahrheit über diese erneut katastrophale Prophezeiung ans Licht kommt, befahl er folgendes Vorgehen: Im Falle von Nachfragen sollte Jeremia behaupten, nur darum gebeten zu haben, nicht wieder ins Gewölbe gesperrt zu werden.

Dieser kleine Kniff des Königs mag kein historischer Geniestreich gewesen sein und doch handelte es sich womöglich schon um die größte strategische Leistung seines Lebens, das ansonsten wenig Erfolg und Talent in dieser Hinsicht vorzuweisen hatte.

Nach etwa eineinhalb Jahren der Belagerung brachen die feindlichen Truppen schließlich durch und eroberten Jerusalem. Zidkija gelang zuerst die Flucht, doch bei Jericho holten ihn seine Verfolger ein und brachten ihn zu Nebukadnezar, dem Eroberer Jerusalems. Dieser ließ seinen Gefangenen dabei zusehen, wie er viele Mitglieder der judäischen Elite ermorden ließ, wobei als besonders sadistisches Detail auch Zidkijas Söhne hingerichtet wurden, bevor er selbst die Augen ausgestochen bekam und gefesselt den Weg nach Babel antreten musste.

Insgesamt wütete der Eroberer brutal unter den Juden und verschleppte die, die er nicht totschlagen ließ, während nach seinem Abzug nur noch wenige „arme Leute, die nichts hatten“ zurückblieben. Zu ihnen gehörte offenbar auch Jeremia, der frei kam und dem ausdrücklich kein Leid zugefügt werden sollte – und übrigens schenkte Gott auch Ebed-Melech das Leben, als Dank dafür, dass er Jeremia aus der Zisterne geholt hatte. Ebenso verfuhr er auch mit Baruch, der als Schreiber für Jeremia die Buchrolle angefertigt hatte.

(Fortsetzung folgt…)