Vermutlich handelte es sich bei Jeremia um den unbeliebtesten und penetrantesten Propheten, den Gott je ausgewählt hatte. Immer tauchte er genau dort auf, wo man ihn nicht sehen wollte, um den Leuten Dinge zu sagen, die sie nicht hören wollten. So passierte es auch, als der HERR ihn vor den Tempel schickte, um dort vor der drohenden Vernichtung zu warnen, wenn nicht endlich zum alten Glauben zurückgekehrt wird. Er überzeugte die Priester und Gläubigen offenbar nicht, denn sie nahmen sich nicht seine Worte zu Herzen, sondern ihn gefangen, um ihn zu töten.
„Dieser Mann hat den Tod verdient, denn er hat gegen diese Stadt geweissagt, wie ihr mit eigenen Ohren gehört habt!“, erklärten die Priester den Beamten des Königs, die über die Vollstreckung einer Todesstrafe zu entscheiden hatten. Aus Jeremias Gegenrede sprach jene fatalistische Gleichgültigkeit, die nur wahre Propheten auszeichnet. Ungerührt erklärte er: „Siehe, ich selbst bin in eurer Hand; macht mit mir, was ihr für gut oder recht haltet!“ und betont, dass er Gottes Wort verkündet und die Leute besser darauf hören sollten, um das Unheil noch abzuwenden, das ihnen droht.
Die älteren Anwesenden ergriffen das Wort und stärkten mit ihrer Anekdote Jeremia den Rücken. Sie konnten sich an einen Propheten erinnern, der ebenfalls vor drohenden Strafen Gottes gewarnt hatte. Er hieß Micha und Gott ließ ihn verkünden: „Zion wird umgepflügt zu Ackerland, Jerusalem wird zum Trümmerhaufen, der Tempelberg zu überwucherten Höhen“, wenn es zu keiner religiösen Rückbesinnung auf den alten Bund kommt. „Haben ihn etwa Hiskija, der König von Juda, und ganz Juda hingerichtet?“, fragten die Alten daraufhin und weil dem nicht so war, hatten sie damit ein überzeugendes Argument geliefert, warum auch Jeremia nicht getötet werden darf. Leider schwiegen sie danach nicht, sondern ruinierten ihren Erfolg durch ein weiteres Beispiel.
Nun erwähnten sie nämlich das Schicksal eines anderen Propheten, der Urija hieß und ebenfalls vor der Zerstörung Jerusalems und Judas gewarnt hatte. Ihn wollte der König dafür hinrichten lassen, weswegen Urija nach Ägypten floh, wo er aufgespürt, zurückgebracht und schließlich hingerichtet wurde. Damit gab es nun für beide Optionen ein historisches Vorbild und weil offenbar die Erinnerungen an die zweite Geschichte mehr in den Ohren der Zuhörer nachhallten, verlangte das Volk die Hinrichtung Jeremias, die nur durch das mutige Einschreiten eines einflussreichen Beamten mit Namen Ahikam verhindert werden konnte.
Gott entwickelte in Bezug auf seinen Propheten Jeremia ohnehin eine gewisse Vorliebe für dramatische Inszenierungen. Es gab ja schon die Auftritte mit dem Zornwein und nun hatte er eine ähnliche Idee und sprach zu Jeremia: „Mach dir Strick und Jochhölzer und leg sie dir um den Nacken!“ Nachdem sich der Prophet ohne Protest den Strick umlegte und in das Jochholz zwängte, bei dem die Hände und der Kopf zwischen zwei Bretter geklemmt werden, was den Gefangenen in eine denkbar unangenehme Position versetzt, sollte er den Königen von Edom, von Moab, von Tyrus, von Sidon und dem der Ammoniter eine Warnung Gottes übermitteln.
Sie alle würden nun zu Knechten des Königs Nebukadnezar werden, den Gott wiederum als seinen Knecht bezeichnete. Insgesamt würde diese Unterdrückung drei Generationen anhalten, bevor Babel selbst von stärkeren Völkern geknechtet wird. Dass Gott hier keine Einladung an diese Könige aussprach, sondern eine Anweisung, wurde spätestens dann deutlich, als sein Prophet Jeremia, die ganze Zeit im Joch feststeckend, erklärte: „Wenn ein Volk oder ein Reich, ihm, Nebukadnezzar, dem König von Babel, nicht dienen und seinen Nacken nicht unter den König von Babel beugen will, so werde ich dieses Volk mit Schwert, Hunger und Pest heimsuchen.“ Oder, um es kürzer zu machen: „Dient dem König von Babel und lebt!“
(Fortsetzung folgt…)