Jeremia selbst geht weiter auf sein Leben als Prophet ein, für das er einen hohen Preis zahlen muss. Nicht vor allem wegen der Anfeindungen, die gehören im Grunde zum Berufsrisiko eines Propheten, sondern weil Gott von ihm verlangte: „Du sollst keine Frau nehmen und weder Söhne noch Töchter haben an diesem Ort.“ Die Begründung dafür ist nachvollziehbar und grausam zugleich, denn jeder Mensch, der an diesem Ort geboren wird, würde doch nur eines qualvollen Todes sterben und ohne Grab von den Tieren gefressen werden. Gottes Prophet sollte also keine Familie haben, sich aber zugleich auch von gesellschaftlichen Ereignissen wie Hochzeiten und Beerdigungen fernhalten.
Jeremia lebte also ein Leben als Außenseiter und Sonderling, der sich eigentlich nur mit apokalyptischen Warnungen und Drohungen zu Wort meldete und sich zugleich vom Rest des Volkes absonderte. Womöglich war es dieser eremitisch-mürrische Gesamteindruck, der dazu beitrug, dass er regelmäßig bedroht wurde. Es scheint so, als ob Gott regelmäßig mögliche Gesprächsabläufe mit Jeremia durchging und ihm erklärte, was er in welcher Situation antworten sollte. Dass die Frage nach dem „warum“ am meisten gestellt wird, wenn Gott sein Volk in Juda drangsalierte, sollte nicht weiter überraschen. Darum sollte Jeremia in einem solchen Fall zuerst auf die Verfehlungen der Väter verweisen, die sich anderen Göttern angeschlossen hatten, nur um dann festzustellen, dass „ihr selbst es aber noch schlimmer getrieben habt als eure Väter!“, weswegen ihr Tod und ihre Vertreibung nicht nur gerecht, sondern auch selbstverschuldet sei.
Jeremia will, dass seine Kritiker sterben – und deren Kinder
Vermutlich freute sich niemand unter den Israeliten, wenn sie Jeremias kommen sahen. So dürfte es auch gewesen sein, als Gott ihm auftrug, am Stadttor von Jerusalem auf die Menschen einzureden. Es ging um die Sabbatruhe, die natürlich auch längst nicht mehr eingehalten wurde. Jeremia predigte all denen, die schwer beladen durchs Tor zogen, dass sie am Sabbat keine Lasten tragen dürfen. Weder in die Stadt hinein noch aus ihr heraus. Aber auch sonst sollten alle Arbeiten ruhen. So wie es einst zwischen Gott und Volk ausgemacht wurde und woran sich im Volk offenbar niemand mehr hielt. Außer Jeremia vermutlich. Dass es sich bei den Worten des Propheten weniger um eine Bitte handelte als um eine letzte Warnung, wird klar, wenn er die Folgen einer weiteren Sabbat-Entweihung benennt: „Wenn ihr nicht auf mich hört, den Tag des Sabbats zu heiligen, keine Last zu tragen und am Tag des Sabbats durch die Tore Jerusalems zu kommen, dann lege ich Feuer an seine Tore, das Jerusalems Paläste verzehrt und nicht erlischt.“
Er würde die Stadt einfach anzünden, wenn sein Sabbat nicht eingehalten wird. Jedoch ist das nur die brutale von zwei Optionen, denn trotz allen Grolls gibt der HERR nicht auf, an ein gutes Ende für sein auserwähltes Volk zu glauben: „Und es wird sein, wenn ihr bereitwillig auf mich hört und am Tag des Sabbats keine Last durch die Tore dieser Stadt bringt, sondern den Tag des Sabbats heiligt und an ihm keinerlei Arbeit verrichtet, dann werden durch die Tore dieser Stadt Könige und Fürsten einziehen (…) und diese Stadt wird für immer bewohnt sein.“ Gott ist also bereit, das Haus anzuzünden, zeigt aber zwischen den lodernden Flammen immer einen Weg zum Notausgang, durch den die Bewohner fliehen könnten. Wobei der Schlüssel für das Schloss die Rückkehr zum Bund der Vorfahren ist. Andernfalls zeigt Gott ihnen „den Rücken und nicht das Gesicht am Tag ihres Verderbens.“
Zuvor aber kommt es immer wieder zu Übergriffen auf Jeremia, womit er zu so etwas wie dem Prototyp des Boten wird, der für die Überbringung schlechter Nachrichten bestraft wird. Jeremia selbst macht sich dabei durchaus Sorgen um seine Gesundheit und spricht Gott auch direkt an, dass er ihn schützen soll. Wobei seine Vorstellung eines effektiven Schutzes weit über die reine Selbstverteidigung hinausgeht und sich auch nicht mit der Bestrafung seiner Widersacher zufriedengeben will. Jeremia erwartet viel mehr, dass die Kinder seiner Gegner sterben müssen und ihre Frauen zu Weisen. Ob durch Hunger oder durch das Schwert, ist dem Propheten dabei relativ egal, solange es nur zum erforderten Blutbad kommt: „Geschrei soll man hören aus ihren Häusern, / wenn du plötzlich Kriegshorden über sie kommen lässt.“ Was auch immer Jeremia ansonsten für Grundwerte hatte, jener, dass Väter nicht für die Taten ihrer Söhne und Söhne nicht für die Taten ihrer Väter bestraft werden sollte, gehörte offenbar nicht im engeren Sinne dazu. Wobei man ergänzen sollte, dass auch der HERR selbst nicht immer diesem hohen Anspruch gerecht wurde.
(Fortsetzung folgt…)