Zugleich zeigt Gott sich auf eine Weise verletzlich, wie nie zuvor und kombiniert diese Gefühlsregung mit einer dann doch wohlbekannten Neigung, Probleme mit Gewalt lösen zu wollen. So beklagt er sich über die Götzendienerei seines Volkes, die doch nur dem Ziel gegolten hätte, „mir wehzutun“, auch wenn er trotzig nachschiebt: „Aber tun sie wirklich mir weh?“ Nun, offenbar tut es beiden Seiten weh, wobei der HERR persönlich für die Schmerzen seines untreuen Volkes sorgt, das im Götzendienst so weit gegangen sei, die eigenen Töchter im Feuer zu verbrennen. So etwas habe er selbst nie befohlen und „es ist mir niemals in den Sinn gekommen“, meint er fassungslos.
Allerdings hat er mit der Beinahe-Opferung Issaks immerhin den Weg in diese Richtung betreten und unter anderem schritt er auch nicht ein, als ihm der Kriegsheld Jiftach seine Tochter opferte. Aber regelmäßige Menschenopfer hatte er tatsächlich nie verlangt. Doch nun drohte er, dass die Täler Judas zu Mordtälern werden, wo die ihm untreuen ohne Begräbnis liegen werden, während zugleich längst bestattete Könige, Priester, Propheten und auch das gewöhnliche Volk an die Erdoberfläche gezerrt werden, um zu „Dünger auf dem Acker zu werden“.
Doch neben den Toten, die auf diese Weise nicht um-, sondern ausgebettet werden und denen, die erst gar nicht unter die Erde kommen, wird es auch Überlebende dieser göttlichen Züchtigungen geben und für diese hat er auch eine Mitteilung, die sie kaum trösten dürfte: „Besser als das Leben wäre der Tod auch für den Rest, für alle, die übrig bleiben.“
Es scheint, als würde die Verbindung des HERRN zum auserwählten Volk in diesen Tagen nur noch im Propheten Jeremia bestehen. Wobei sich Gott bei allem Zorn und aller Vernichtung, die er geschehen lässt, immer wieder überraschend verletzlich zeigt. „Ach, wäre mein Haupt doch Wasser, / mein Auge ein Tränenquell“, klingt jedenfalls mehr nach einem hoffnungslos romantischen Dichter als nach dem Erschaffer der Welt, der sich in der Vergangenheit oft genug erstaunlich gefühlskalt gezeigt hatte, wenn er wichtige Entscheidungen verkünden musste.
Da konnte es sein, dass er Propheten wie Moses ihren baldigen Tod in einer kühlen Beiläufigkeit verkündete, als wäre das nicht der Rede wert. Doch nun beklagte sich derselbe Gott: „Warum haben sie mir wehgetan / mit ihren Götterbildern, mit den fremden Götzen?“
(Fortsetzung folgt…)