Zum Abschluss der Jesaja-Kapitels geht es erneut um die ganz großen Fragen von Gut und Böse. Wobei er ein wenig überraschend den Kreis der Guten auch um Menschen erweitert, die keine Israeliten sind, obwohl er zugleich als Voraussetzung für die Aufnahme in den Club der Guten die Mitgliedschaft im Bund genannt hat. Offenbar reicht es Gott dennoch, wenn ein Nichtisraelit nach den Regeln des Bundes lebt – auch wenn er ihnen nie vollständig wird entsprechen können, da sich einige exklusiv an die Israeliten richten. Doch die Ankündigung ist eindeutig, denn Gott erklärt mit Blick auf seine Nicht-israelitischen Anhänger: „Ihre Brandopfer und Schlachtopfer werden Gefallen auf meinem Altar finden, / denn mein Haus wird ein Haus des Gebetes für alle Völker genannt werden.“

Und doch spielt sein auserwähltes Volk immer noch eine besondere Rolle. Angefangen damit, dass weiterhin Spannungen zur Sprache kommen, die es zwischen Gott und ihm gab und gibt. Dabei zeigen sich die Wortführer der Israeliten durchaus selbstkritisch, wenn sie die Zeit der größten Krisen im Glauben so beschreiben: „Wir stolpern am Mittag wie in der Dämmerung, / bei blühender Gesundheit sind wir Toten gleich. Wir bummeln alle wie Bären / und gurren wie Tauben.“ Weswegen ausgerechnet bummelnde Bären und gurrende Tauben nun die besten Vergleiche für den Abfall vom Glauben sind, bleibt ein Rätsel, ändert aber nichts an der Ernsthaftigkeit dieser Selbstkritik. Wobei sie auch dringend nötig war, denn Gott hatte längst die Phase der Enttäuschung über das Fehlverhalten seines Volkes hinter sich gelassen und bekämpfte es aktiv. „Er selbst führte Krieg gegen sie“ heißt es dazu. Ein Satz und ein Zustand, der nie vorgesehen war für das Verhältnis von Gott zu seinem Volk und doch war er eingetreten. Als er so wütete, erinnerten sich manche an frühere Zeiten und daran, dass der HERR auch mal ganz anders war – na gut, die Israeliten selbst auch. Jedenfalls hieß es dazu: „Da dachte man an die Tage der Vorzeit, / an Mose, an sein Volk; Wo ist der, der sie herausgeführt hat aus dem Meer, zusammen mit dem Hirten seiner Schafe? / Wo ist der, der seinen heiligen Geist in sein Inneres gelegt hat, der sie an der rechten Seite des Mose gehen ließ / mit prachtvollem Arm, der die Wasser vor ihnen zerteilte, / um sich einen ewigen Namen zu machen, der sie durch die Fluten gehen ließ wie Pferde durch die Wüste, / ohne dass sie strauchelten?“

In einem bemerkenswert dreisten Versuch, die Verantwortung für das eigene Tun von sich zu weisen, kam es auch zu dieser Sichtweise auf die Dinge: „Warum lässt du uns, HERR, von deinen Wegen abirren / und machst unser Herz hart, / sodass wir dich nicht fürchten?“ Nicht das Volk hatte sich also etwas vorzuwerfen, sondern Gott selbst. Eine Sicht auf die Dinge, die viel Selbstgerechtigkeit und keine Selbstkritik kannte. An anderer Stelle wurde der HERR angefleht, nicht mehr an die Schuld zu denken, die das Volk auf sich geladen hat. Stattdessen kam es zu dramatischen Bekenntnissen der Bundestreue und dem besonderen Verhältnis, das es zwischen Himmel und Erde beziehungsweise Gott und Israeliten gibt. In diesem Rahmen wurde auch daran erinnert, dass sich als Folge des Glaubensabfalls das gelobte Land in einem schlimmen Zustand befand: „Schau doch her: Wir alle sind dein Volk. Deine heiligen Städte sind zur Wüste geworden, / Zion ist zur Wüste geworden, Jerusalem zur Einöde. Und heiliges und prachtvolles Haus, / wo unsere Väter dich priesen, ist ein Raub der Feuer geworden; / alles, was uns begehrenswert war, liegt in Trümmern. Kannst du dich bei alldem zurückhalten, HERR, / kannst du schweigen und uns so sehr erniedrigen?“

(Fortsetzung folgt…)