Aber wie kam Jesaja eigentlich in die Position, dass er all diese schlechten Nachrichten unters Volk bringen durfte oder musste, je nachdem, ob er schadenfroh veranlagt war oder nicht. Er selbst spricht von einer überwältigenden Begegnung im Tempel Gottes, wo der HERR auf einem Thron saß, während die Säume seines Gewandes das Gebäude ausfüllten. Über ihm befanden sich drei Engel, die jeweils sechs Flügel hatten. Mit einem Paar bedeckten sie ihr Gesicht, mit einem anderen die Füße und nur das dritte nutzten sie zum Fliegen. Und alle Engel riefen: „Heilig, heilig, heilig ist der HERR der Heerscharen. / Erfüllt ist die ganze Erde von seiner Herrlichkeit.“
Man darf annehmen, dass Jesaja selbst in diesem Moment nicht in religiöser Verzückung war, sondern Todesangst hatte, da er den HERRN direkt ansah. Er murmelte: „Wehe mir, denn ich bin verloren. Denn ein Mann unreiner Lippen bin ich und mitten in einem Volk unreiner Lippen wohne ich.“ Daraufhin schwebte einer der Engel zu ihm und hielt mit einer Zange ein Stück glühende Kohle fest an Jesajas Mund, wobei er erklärte: „Siehe, dies hat deine Lippen berührt, so ist deine Schuld gewichen / und deine Sünde gesühnt.“ Ob Jesajas Lippen dabei verbrannt wurden, wird nicht erklärt, dafür ist aber durch diese Begegnung klar geworden, dass Engel wärmeempfindlich sind. Sonst hätte diese sechsfach geflügelte Diener Gottes keine Zange für die Kohle gebraucht.
Begierig darauf, das Wort Gottes zu verbreiten, fragte Jesaja mit wohl noch immer schmerzenden Lippen, was er den Leuten mitteilen soll. Die Antwort kam klar und deutlich und unversöhnt: „Verfette das Herz dieses Volkes, / mach schwer seine Ohren, / verkleb seine Augen, damit es mit seinen Augen nicht sieht, / mit seinen Ohren nicht hört, damit sein Herz nicht zur Einsicht kommt / und es sich nicht beehrt und sich so Heilung verschafft.“ Womöglich hätte Jesaja dem Volk gerne etwas Positiveres gepredigt, weswegen er nachfragte: „Wie lange Herr?“ Doch erneut musste ihn die Anweisungen enttäuschen: „Bis die Städte verödet sind und unbewohnt, / die Häuser menschenleer, / bis das Ackerland zur Wüste verödet ist.“ So wie es aussah, würde Jesaja weniger Prophet als viel mehr Nachlassverwalter des israelitischen Volkes werden.
(Fortsetzung folgt…)