Offenbar wurde das fehlgeschlagene militärische Projekt beziehungsweise die wilde Flucht peinlich ignoriert. Niemand sprach es mehr an. Lieber redet Gott darüber, wie man ihm Opfer darbringen kann und hatte dabei womöglich die Stimmung im Volk nicht bemerkt. Während er noch Dinge erläutert wie, „wenn jemand versehentlich sündigt, dann soll er eine einjährige Ziege als Sündopfer darbringen“, kam es jedenfalls zu einem regelrechten Putschversuch gegen Moses. Angeführt von den drei Brüdern Korach, Datan und Abiram, die als Leviten für den Schutz des göttlichen Zeltes verantwortlich waren, wurde die Autorität des Moses öffentlich infrage gestellt.
Das wäre an sich noch nicht so überraschend, da es immer wieder zu heftigen Vorwürfen und Angriffen gegen Moses und Aaron gekommen war. Doch dieses Mal war es anders. Die drei Brüder hatten die Unterstützung von „zweihundertfünfzig Israeliten, Anführern der Gemeinden, Berufenen der Festversammlung, angesehene Männer.“ Sie alle störten sich an der Ungleichbehandlung vor Gott und fanden, dass jeder das Recht haben sollte, wie Moses mit ihm sprechen zu können. Sie forderten mehr Gleichberechtigung. Darum lautete ihre Parole auch: „Alle sind heilig!“ Wenn aber alle heilig sind, gibt es keine Rechtfertigung dafür, Einzelnen eine Vorzugsbehandlung zu gewähren.
Die Stimmung wurde immer aggressiver, wobei auch die allgemeine Hoffnungslosigkeit im Volk ihren Teil dazu beitrug: „Ist es nicht genug, dass du uns aus einem Land, in dem Milch und Honig fließen, herausgeführt hast, um uns in der Wüste sterben zu lassen“ lautet dabei einer der perfidesten Angriffe, weil er die Losung des Landes, wo „Milch und Honig“ fließt, kurzerhand auf Ägypten umdeutete. Ausgerechnet auf das „Sklavenhaus“, wie es Gott selbst nannte.
Moses versucht noch an die Vernunft zu appellieren und erinnert die drei Anführer, dass Gott doch auch für sie besondere Aufgaben vorsieht. „Er hat dich und mit dir alle deine Brüder die Leviten, in seine Nähe geholt, doch nun wollt ihr auch noch den Priesterdienst“, rief er Korach zu, doch vergeblich. Offenbar hatte er nicht verstanden, worum es den Rädelsführern wirklich ging. Sie wollten keinen noch exklusiveren Zugang für sich, sondern den gleichberechtigten Zugang aller zu Gott. Moses entglitt die Situation völlig, wobei es immerhin zu keinem dritten Versuch kam, ihn zu steinigen. Aaron und er standen allein gegen die wütende Elite des Volkes und wussten nicht mehr weiter.
Moses kann Gott beruhigen. Schon wieder.
Schließlich hatte sich der ganze Tumult vor das Zelt Gottes verlagert, der offenbar keinerlei Verständnis für diese Reformpläne hatte. Die Gegner von Moses, der eigentlich auch nichts für seine Vorrangstellung konnte, hatten das Volk auf ihrer Seite, und wollten nun vom HERRN eine Entscheidung erzwingen. Das war riskant, weil Gott sich nicht gerne in die Enge drängen ließ und es sollte auch fürchterlich schiefgehen. Ein Hauch von Sintflut mit einem Schuss Sodom und Gomorra legte sich über das Lager, als Gott Moses und Aaron aufforderte: „Sondert euch aus der Mitte dieser Gemeinde ab! Ich will ihr augenblicklich ein Ende bereiten.“
Es zeigt die wahre Größe von Moses, dass er sich daraufhin ohne zu zögern für die Menschen einsetzte, die sich gerade gegen ihn verbündet hatten. Er gab Gott zu bedenken: „Ein einzelner Mensch sündigt und du zürnst der ganzen Gemeinde?“ Von diesem Argument ließ er sich überzeugen, womit Moses schon zum dritten Mal die Vernichtung des Volkes durch den HERRN verhindert hatte. Einerseits eine beeindruckende Leistung, andererseits aber auch ein wenig verstörend, wie schnell Gott zu extremen Lösungen tendiert.
Ohne Gewalt ging die Sache trotzdem nicht aus. Genau genommen war die Bestrafung, die Gott sich für die drei Anführer ausgedacht hatte, wesentlich verstörender als eine einfache Hinrichtung. Korach, Datan und Abiram, die sich für mehr Gleichberechtigung im Glauben eingesetzt hatten, wurden wortwörtlich vom Erdboden verschluckt. Gott ließ den Boden unter ihnen aufreißen und die Erde „verschlang sie samt ihren Familien und allen Menschen, die zu ihnen gehörten.“ Nun entsprach die Verschlingung der unschuldigen Frauen und Kinder nicht ganz dem Einwand von Moses, der sich kurz zuvor noch gegen eine Kollektivstrafe eingesetzt hatte, doch immerhin hatte sich die Zahl der Unschuldigen deutlich reduziert.
Moses bewies in diesem Rahmen außerdem, dass seine moralischen Grundsätze auch ein wenig dehnbar sind, da er selbst Gott zu dieser Art der Bestrafung überredet hatte oder genauer gesagt zwang. Er stand nämlich vor den Zelten der drei Anführer und rief der Gemeinde zu: „Wenn diese sterben, wie alle Menschen sterben, und wenn sie heimgesucht werden, wie alle Menschen heimgesucht werden, dann hat der HERR mich nicht gesandt. Wenn aber der HERR Unerhörtes erschafft und der Erdboden seinen Rachen aufreißt, und sie verschlingt, zusammen mit allem, was ihnen gehört, und wenn sie lebend in die Unterwelt hinabfahren, dann werdet ihr erkennen, dass diese Leute den HERRN verachtet haben.“ Was konnte Gott da noch anderes machen, als den Erdboden aufzureißen? Moses hatte die Situation ausgenutzt, um auf grausamste Weise Rache zu nehmen.
Aaron stirbt und Gott macht ihm Vorwürfe
Doch stellte diese pompöse Auslöschung der drei Anführer samt Familien keinesfalls die Ruhe im Volk wieder her. Im Gegenteil löste sie eine Kettenreaktion aus, die am Ende alles noch viel schlimmer machte. Die Israeliten waren nun erst recht aufgebracht und der naheliegende Vorwurf an Moses und Aaron lautete: „Ihr habt das Volk des HERRN getötet!“ Erneut versammelten sich wieder alle vor dem Zelt Gottes, den das überforderte und der sich nicht anders zu helfen wusste als damit, wieder das ganze Volk töten zu wollen. Moses bemerkte die Gefahr und trieb Aaron an, ein Sühneopfer zu bringen. Aaron konnte so im letzten Moment eine Katastrophe verhindern. Oder vielleicht kam er auch einen Moment zu spät und konnte eine schon laufende Katastrophe nur noch abbrechen, aber nicht mehr verhindern. Gott hatte zu diesem Zeitpunkt schon 14.000 Israeliten getötet, aber er hörte danach tatsächlich auf.
Allerdings dauerte es wieder nicht lange, bevor es zu erneuten Vorwürfen gegen Moses kam. Auslöser war der Frust über Hunger und Durst, wobei die frischen Erinnerungen an das Versinken ganzer Familien im Erdboden und die Ermordung von 14.000 Menschen durch Gott sicherlich nicht zur Beruhigung der Gemüter beigetragen hatte. Wie immer, wenn die Unzufriedenheit sich ausbreitete, machte der verklärende Blick in Richtung Pharaonenland die Runde: „Wozu habt ihr uns aus Ägypten hierher geführt?“ Andere warfen Moses sarkastisch an den Kopf: „Wären wir doch umgekommen, als unsere Brüder vor dem HERRN umkamen!“
Moses hatte schon viele schwierige Situationen zu meistern gehabt, aber vermutlich war diese Zeit die schwierigste seines Lebens. Gerade in dieser aufwühlenden Phase trafen ihn nämlich in kurzer Folge zwei Schicksalsschläge. Als erstes starb seine Schwester Mirjam. Wobei die Bibel ihrem Tod fast so wenig Aufmerksamkeit schenkt wie ihrem Leben. Er wird in einem dünnen Satz abgehandelt, als das Volk gerade das Land Kadesh erreichte: „Dort starb Mirjam und wurde auch dort begraben.“ Das war es. Wobei Frauen ohnehin auf der Reise praktisch unsichtbar sind. Eigentlich ist sie schon fast die Einzige, die überhaupt erwähnt wird.
Einen zweiten Verlust erlitt Moses am Berg Hor. Dort starb Aaron, sein kongenialer Bruder, ohne dem es den Auszug aus Ägypten nicht gegeben hätte und der doch immer in seinem Schatten stehen sollte. Gott hatte Aaron zum Abschied noch schwere Vorwürfe gemacht: „Aaron wird jetzt mit seinen Vorfahren vereint; er wird nicht in das Land kommen, das ich für die Israeliten bestimmt habe; denn ihr habt euch am Wasser von Meriba gegen mich aufgelehnt.“ Mit diesen Worten verabschiedete Gott sich von seinem höchsten Priester.
Obwohl das Volk während der Wanderung durch die Wüste mehrmals kurz davor war, Aaron zu steinigen, beweinte es seinen Tod nun dreißig Tage lang – der von Mirjam wurde offensichtlich nicht beweint und vielleicht nicht mal bemerkt.
Als die Israeliten schließlich an den Grenzen eines fremden Königreichs darum baten, hindurchwandern zu dürfen und sogar bereit waren, dafür zu zahlen, verweigerte ihnen der König diesen Wunsch. Also mussten sie einen Umweg nehmen. Manchmal kommt wirklich alles zusammen.
Fortsetzung folgt…