Tatsächlich bekam Herodes einen Wutanfall, als er bemerkte, dass die Sterndeuter ihn im Stich gelassen hatten, und so entschied er sich für eine Maßnahme, die viel Leid über das Land brachte. Um den „König der Juden“ als künftige Gefahr auszuschalten, wollte er ihn töten und da er weiterhin nicht wusste, um welches Kind es sich handelt, ging er auf brutal konsequente Weise vor und ließ „in Betlehem und der ganzen Umgebung alle Knaben bis zum Alter von zwei Jahren töten.“ Da es sich um ein Neugeborenes handelte, ist es selbst nach den Maßstäben des Herodes schwer verständlich, weswegen sogar noch Zweijährige umgebracht wurden. Selbst ein prophetisch angekündigter Erlöser entwickelt sich schließlich nicht in wenigen Tagen vom Säugling zum Zweijährigen.
Sein Kindermord hatte nicht mal den erhofften Erfolg, da Josef, Maria und Jesus zu diesem Zeitpunkt längst auf der Flucht nach Ägypten waren. Ein Engel hatte sie aufgefordert, sofort zu verschwinden. Damit wurde die Israel-Ägypten-Reiseroute erneuert, die seit Abrahams Tagen so mancher Israelit von weltgeschichtlicher Bedeutung genommen hatte. Was die reich beschenkte Flüchtlingsfamilie in ihrem Exil-Land trieb, ist ungewiss. Da sie aber irgendwie den Lebensunterhalt bestreiten mussten, wird Josef entweder in seinem erlernten Beruf als Zimmermann beschäftigt gewesen sein oder sie lebten womöglich vom Gold, das sie neben Weihrauch und Myrre von den Sterndeutern erhalten hatten.
Jedenfalls ging eine nicht genannte Zahl von Jahren ins Land, in denen Jesus wie Moses im Land der Pharaonen aufwuchs, bevor die erlösende Nachricht vom Tode des Herodes eintraf. Also machte sich die Familie wieder auf den Weg in die Heimat, ließ sich aber nicht mehr in Betlehem nieder, sondern in Nazareth. Dort fühlte sie sich vor dem Nachfolger des Herodes sicherer, bei dem es sich um dessen Sohn handelte und darum eine Voreingenommenheit gegenüber Jesus unterstellt werden durfte.
Da sich die Erzählung nicht damit aufhält, Jahreszahlen einzubauen, kann nur geschätzt werden, wie alt Jesus zu jener Zeit war. Aber vermutlich wandelte er nun schon als erwachsener Mann über die staubigen Straßen Nazareths. Dafür spricht auch ein Mann, dessen Extravaganz jener der nackt predigenden Propheten des Alten Testaments in nichts nachsteht: Johannes der Täufer. Er trug ein „Gewand aus Kamelhaar“ und ernährte sich von dem, was als Inbegriff göttlicher Plagen gilt: Heuschrecken. Wenn dieser Asket sich überhaupt etwas Luxus gönnte, dann war es wohl der Honig, mit dem er offenbar die dürre Insektenspeise süßte. Wenn er nicht gerade Grashüpfer aller Art zerkaute, verkündete er apokalyptische Nachrichten. „Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe!“, schrie er aus, während er mit beiden Beinen im Jordan stand und jene taufte, die seine Worte genug alarmierten, um jene Umkehr mit etwas Wasser zu besiegeln.
Allerdings entging Johannes nicht, dass manche sich aus taktischen Gründen für die Taufe entschieden, um beim Weltenende eine Option mehr zur Verfügung zu haben. Diesen Leuten, in denen der Täufer ausschließlich Pharisäer und Sadduzäer zu erkennen meinte, teilte er in seiner typischen und jede Hoffnung schmelzenden Art mit, dass das so nicht funktionieren wird: „Ihr Schlangenbrut, wer hat euch denn gelehrt, dass ihr dem kommenden Zorngericht entrinnen könnt?“ Danach kam er ihrem Taufwunsch zwar dennoch nach, doch während er das tat, erinnerte er „die Schlangenbrut“ daran, dass der Messias sie aber eines Tages noch „mit Feuer“ taufen werde, bevor sie in einem „nie erlöschendem Feuer verbrennen“ werden. Wenige Taufzeremonien dürften in einer so gedrückten Stimmung stattgefunden haben wie die jener Pharisäer und Sadduzäer.
(Fortsetzung folgt…)