Das Lukas-Evangelium macht kein Geheimnis aus der Rolle, die Judas im weiteren Verlauf der Geschichte einnehmen wird, und nennt ihn darum schon bei seiner ersten Erwähnung den „der zum Verräter wurde“.
Gleichzeitig wird betont, dass Jesus ein totes Mädchen ins Reich der Lebenden zurückgeholt hatte, wobei es sich damit um die mindestens zweite dieser erstaunlichen Taten von ihm handelte. Die erste drehte sich um eine Witwe, die ihren einzigen Sohn zu Grabe tragen musste. Offenbar erschien es dem Messias nicht angemessen, dass diese Frau so viel Leid ertragen muss und so ging er auf der Beerdigung zum aufgebahrten Leichnam und nach einem einzigen „Steh auf!“ tat der junge Mann genau das. Seine Mutter blieb zwar weiterhin Witwe, aber hatte immerhin ihren Sohn zurück. Da eine große Menschenmenge die Beerdigung begleitete, sprach sich diese Wundertat schnell herum.
Bei Matthäus und Markus wird Jesus „kostbares Salböl über sein Haupt“ gegossen, das er selbst als Salbung für sein Begräbnis verstand. Lukas erzählt die Geschichte jedoch deutlich anders. Der erste Unterschied besteht darin, dass es sich in beiden anderen Evangelien um einen dramatischen Moment kurz vor der Verhaftung und Kreuzigung handelt, während Lukas das Ereignis viel weiter vorne ansiedelt. Entsprechend wird bei ihm aus der aussätzigen Frau mit dem Salböl eine Sünderin, und um noch mehr Dramatik herauszunehmen, hat sie nichts mit der Salbung für Begräbnisse zu tun, wie in den beiden anderen Evangelien.
In diesem Fall nun „benetzte sie mit ihren Tränen“ die Füße des Jesus, um sie sodann mit ihren Haaren zu trocknen und zu küssen, um sie schließlich – und hier kommt wenigstens das Alabastergefäß vor – mit Öl zu salben. Da sich ein ebenfalls anwesender Pharisäer darüber beschwerte, dass eine Sünderin kein Umgang für einen gerechten Mann sei, widersprach Jesus vehement und erließ der Frau kurzerhand ihre Sünden. Zwar verzichtet er in dieser Version darauf, ihr ewigen Ruhm in den Evangelien zu versprechen, aber da sie auch bei Lukas keinen Namen hat, wird sie mit der pragmatischen Sündenvergebung ohnehin mehr anfangen können als mit einem versprochenen Nachruhm als anonyme Bibel-Person.
